Die zweite Generation
Uranos, der Himmel, deckte Gaia, die Erde, vollkommen, und zwar in jeder Hinsicht: Er deckte sie, wie der Himmel bis auf den heutigen Tag die Erde deckt, und er deckte sie, wie ein Hengst eine Stute deckt. Dabei geschah etwas Bemerkenswertes.Die Zeit begann.
Und etwas anderes begann ebenfalls – wie sollen wir es nennen? Persönlichkeit? Drama? Individualität? Charakter, mit all seinen Fehlern, Launen und Leidenschaften, Plänen und Träumen?Sinn begann, könnte man sagen. Gaias Saat gab uns den Sinn. Das Denken keimte auf und fand seine Form. Semantische Semiologie aus dem Samen des Himmels. Ich möchte solche Mutmaßungen den Fachleuten überlassen, aber es war dennoch ein großer Moment. In der Erschaffung des Uranosund der Verbindung mit ihrem Sohn und nun auch Mann, hat Gaia den Faden des Lebens abgespult, der durch die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch bis zu uns führt, mir und Ihnen.
Von Anfang an war die Vereinigung von Uranos und Gaia erfreulich produktiv. Zwölf robuste, gesunde Kinder kamen zuerst – sechs männliche, sechs weibliche. Die Jungs warenOKEANOS,KOIOS,KREIOS,HYPERION,IAPETOS undKRONOS. Die MädchenTHEIA,THEMIS,MNEMOSYNE,PHOIBE,THETYS undRHEA. Diese zwölf waren dazu bestimmt, die zweite Generation der göttlichen Wesen zu bilden und sich einen legendären Namen zu verdienen.
Und irgendwo, als die Zeit sich anschlich, begann die Uhr zu arbeiten, die Uhr der kosmischen Geschichte, die bis heute tickt. Vielleicht war eines dieser Neugeborenen dafür verantwortlich, wir können uns später darum kümmern.
Unzufrieden mit diesen zwölf starken und schönen Brüdern und Schwestern, schenkten Uranos und Gaia der Welt noch weitere Nachkommen, zwei unverkennbare, aber unverkennbarnicht schöne Drillingspaare. Zuerst kamen die drei Zyklopen, einäugige Giganten, die ihrem Vater, dem Himmel, ein ganz neues Arsenal an Ausdrucksmöglichkeiten verschafften. Der älteste Zyklop wurdeBRONTES3 genannt, Donner, dann kamSTEROPES, der Blitz, und schließlichARGES, die Leuchtkraft. Uranos konnte nun den Himmel mit flackernden Blitzen und tosendem Donner erfüllen. Er kostete den Krach und Tumult gründlich aus. Aber das zweite Drillingspaar, das Gaia gebar, ließ ihn sogar noch mehr erbeben, ebenso wie alle, die sie sahen.
Höflich ausgedrückt, handelte es sich vielleicht um eine Art Mutationsexperiment, das nicht noch einmal wiederholt werden sollte, eine genetische Sackgasse. Diese Neugeborenen – dieHEKATONCHEIREN – hatten nämlich jeweils fünfzig Köpfe und hundert Hände und waren so böse, abscheulich, gewalttätig und mächtig wie nichts und niemand zuvor.
Sie hießenKOTTUS, der Wütende,GYGES, der Langgliedrige, undAIGAION, der Steinbock, manchmal auchBRIAREOS genannt, der Kraftstrotzende. Gaia liebte sie. Uranos fand sie abstoßend. Vielleicht hat ihn am meisten die Vorstellung befremdet, dass er, der Herr des Himmels, so merkwürdige und hässliche Wesen gezeugt haben könnte, aber ich glaube, dass sein Hass, wie so oft, einer Furcht entsprang.
Voller Abscheu verfluchte er sie: »Weil ihr meine Augen beleidigt, sollt ihr nie wieder das Licht erblicken!« Während er wutentbrann