Das Geheimnis des Rings
Der Engerling stand an der Tür des Klassenzimmers, hatte den Hals gereckt und hielt intensiv Ausschau, als Lea auf ihn zuging. Offenbar hatte er auf sie gewartet, denn er winkte, als er sie sah. Lea verdrehte die Augen. Noch vor der ersten Stunde den aufdringlichen Kerl zu ertragen, war die reine Folter.
»Lea, ich muss dir was zeigen! Schau mal!«
Schau mal! – Konnte der Typ nicht vernünftig reden wie jeder andere? Aber nein, beantwortete Lea sich die Frage selbst, er war eben der Engerling und Verschrobenheit bei ihm Programm.
Edgar kramte in seiner Aktentasche, einem Monstrum aus altem Leder, das aussah, als habe sie schon seinem Großvater gehört. Was wahrscheinlich stimmte. Lea hängte ihre Jacke an die Garderobenleiste vor der Tür, machte einen Bogen um Edgar und ging ins Klassenzimmer. Ihr war bewusst, dass das nicht gerade nett war, aber sie hatte nicht vor, sich mit dem Engerling anzufreunden. Deshalb interessierte es sie nicht, was er ihr zeigen wollte. Und seine Aufdringlichkeit nervte. Besonders, da er sich von ihrer Flucht nicht abschrecken ließ. Er folgte ihr zu ihrem Platz, legte ein Buch vor sie auf den Tisch und schlug es auf.
»Hier.« Er deutete auf die aufgeschlagene Seite. »Die Figur auf dem Siegelring ist ein Gargoyle.«
Das interessiert Lea nun doch. »Ein – was?« Kaum ausgesprochen, bereute sie die Frage, denn der Engerling nahm sie als Stichwort, ihr einen Vortrag zu halten.
»Gargoyle. Ursprünglich waren Gargoyles Wasserspeier an Hausgiebeln. Schon in der Antike. Ihr groteskes Aussehen sollte Dämonen abschrecken. Im Mittelalter entstand der Mythos, dass sie die Häuser, an denen sie angebracht waren, vor dem Bösen beschützten. Schau mal, dieses Bild sieht genauso aus wie die Gravur auf dem Ring.«
Das Buch musste ziemlich alt sein, denn man hatte es auf eine Weise in Leder gebunden, wie es heute nicht mehr gemacht wurde. Und die reichlich vergilbten Seiten bestanden aus einem Papier, das Lea noch nie gesehen hatte. Außerdem war die Schrift uralt und so verschnörkelt, dass sie nur einzelne Buchstaben identifizieren konnte. Edgars Mutter betrieb ein Antiquariat; dort hatte er die alte Schwarte wohl gefunden.
Edgar erhielt von hinten einen Schubs und fiel halb auf Leas Tisch und das Buch.
»Mach dich nicht so breit, Engerling.« Luca drängte sich rücksichtslos an ihm vorbei und grinste hämisch. »Ach, hab ich doch ganz vergessen: Du bist ja erheblich breiter als jeder normale Mensch und musst dich nicht noch breit machen.« Er warf einen Blick auf das Buch. »Was ist das denn für ein Wälzer?« Er riss ihn vom Tisch. »Ui, ist der schwer! Wen willste damit erschlagen, Engerling?«
»Mensch, Luca, lass das«, verlangte Lea und versuchte, ihm das sicherlich sehr kostbare Werk abzunehmen. Ohne Erfolg.
Luca warf es in die Luft, fing es auf und warf es wieder hoch. »Na, Engerling, willst du es nicht zurück haben?« Er fasste e