Auf Abwegen 1
Beklemmung.
Beklemmung und zunehmende Hoffnungslosigkeit war, was die junge Frau in der Dunkelheit am meisten verspürte. Abgesehen von der Angst, die nicht von ihr wich, während sie durch das steinerne Labyrinth irrte. Unentwegt.
Es roch nach kaltem Stein, feuchtem Staub und vergangenen Jahrtausenden wie in altehrwürdigen Gebäuden. Die Ledersohlen ihrer Absatzschuhe scharrten über Felsboden, rutschten auf losen Steinchen und machten das Gehen gelegentlich zur Schlitterpartie.
Aufgeben kam jedoch nicht infrage.
Sie kannte diesen Ort, hatte von ihm gehört, und jetzt musste sie eine Möglichkeit finden, ihn zu verlassen – oder für immer bleiben. Bis zu ihrem Tod, der rascher kommen mochte als gedacht. Das hatte sie verstanden.
Sie versuchte, so leise wie möglich zu atmen, während das LED-Licht ihres Smartphones versprechend aufleuchtete und gehässig erlosch, aufleuchtete und erlosch, hektisch und kaltweiß wie ein Stroboskop.
Immer wieder drückte und wischte die junge Frau mit dreckigen Fingern auf dem flackernden Display herum, das ihr gleichmütig verkündete:Kein Dienst.
Hätte sie weniger Furcht gehabt, wäre ihr vielleicht die Energie aufgefallen, die um sie herum war, so selbstverständlich wie die Luft. Keine Energie im elektrischen oder nuklearen oder thermischen Sinn, sondern jene, wie sie sich ansammelte, wenn ein Ort eine bestimmte spirituelle Nutzung erfuhr oder erfahren hatte. Kirchen, Klöster, heilige Plätze inmitten eines Waldes waren erfüllt von einer solchen Energie.
Das Smartphone blinkte mehrmals hektisch hintereinander, die junge Frau fluchte leise. »Bleib schon an!«, raunte sie ärgerlich.
Dann flammte das Lämpchen auf und beschien ihr Gesicht, riss es aus der Finsternis: die markanten Züge einer angehenden Schönheit von gerade mal zwanzig Jahren, reine, helle, glänzende Haut mit Sommersprossen, auf denen Schmutz haftete, kupferrote Haare in einer ramponierten Hochsteckfrisur, ein dezentes Nasenpiercing und ein Paar teure Brillantohrringe, die im Licht aufblitzten, als wollten sie Eindruck auf die versammelten Gäste einer feinen Gesellschaft machen.
Aber es gab niemanden, der sich durch ihr apartes Erscheinungsbild beeindrucken ließ.
Die junge Frau kniff geblendet die Augen zusammen, und das Smartphone rutschte aus ihren gepflegten Fingern, die jedoch deutlich unter der Beanspruchung der letzten Stunden gelitten hatten.
Auf dem Weg zum Boden glitt der Strahl an ihr hinab und zeigte ihr dunkelgrünes Abendkleid, das Risse und dunkle Flecken aufwies, ihre blanken Unterarme mit Dreck und blutigen Kratzern, die sündhaft teure Luxusarmbanduhr, deren Glas zersplittert war, eine zierliche Handtasche in ihrer rechten Armbeuge und schließlich die schwarzen Abendschuhe, deren niedrige Absätze reichlich zerkratzt waren. Alles an diesem Outfit war unpraktisch für eine Umgebung wie diese. Ihr Aufenthalt hier war auch nicht geplant gewesen.
Das Telefon holperte über den Grund, der weißkalte LED-Strahl riss einen steinernen, verstaubten Boden aus der Dunkelheit, auf dem mehrere verschossene Patronenhülsen lagen, die aus einem modernen Militärgewehr stammten. Die Aufschlaggeräusche produzierten ein Echo in dem hohen Raum, dessen Ausmaß durch das wenige Licht nicht ersichtlich wurde.
Nach einem letzten Klappern lag das Smartphone still, das Birnchen nach unten. Die Schwärze kehrte zurück.
»Eßiehcs.« Die junge Frau bückte sich hastig und hob das Gerät auf. »Eßiehcs, etmmadrev!«
Sie kannte das Phänomen bereits, dass die Worte gelegentlich rückwärts aus ihrem Mund drangen. Nur eine Merkwürdigkeit von vielen. Hatte sie anfangs an ihrem Verstand gezweifelt, verdrängte sie solche Kleinigkeiten mittlerweile. Es gab Schlimmeres.
Sie leuchtete umher und illuminierte Wände aus fleckigem grauem Beton und rötlich braunem Backstein, die sich in der Weite verloren; aufgewirbelte Staubkörnchen tanzten durch die künstliche Helligkeit wie winzige Motten, die sich angezogen fühlten.
Dann streifte der Strahl über verschiedene, betagte Türen aus Stein und beschlagenem Holz, von denen drei mit und zwei ohne schmiedeeiserne Klopfer ausgestattet