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Die Abgründe der Seele
Sigmund Freud hat das Unbewusste zwar nicht selbst entdeckt, aber wie ein Höhlenforscher immer tiefere Gänge im Inneren ausgeleuchtet. Er gilt zu Recht als Pionier der Seele. Von neidenden Kollegen wurde ihm manchmal Widersprüchlichkeit in seiner Kartographie angekreidet. Das ist vielleicht manchmal zutreffend. Doch in Wirklichkeit hat er in seinen Schriften nur versucht, die unterirdischen Falten der Seele präzise abzubilden, ohne Rücksicht auf eigene, bereits publizierte theoretische Konstrukte. Er beschreibt das Leben, wie er es antrifft. Deswegen hat sich sein Konzept trotz mancher Holprigkeiten bis ins 21. Jahrhundert gehalten. Es lässt sich auch ausgezeichnet auf die aktuellen Probleme der Millennials anwenden.
Fall 6: Nicht so ganz gelungen
Der 30-jährige Musiker Helmut G. kommt zum Psychiater.»Das ist das erste Mal, dass ich so was mache – mit einem Seelenklempner. Mir geht es schlecht. Ich habe vor zwei Wochen meine zweite Trennung durchleben müssen. Mit Angelika war ich zwei Jahre zusammen, sie ist jetzt 36. Wir haben teilweise zusammengewohnt. Ich kann jetzt nicht mehr durchschlafen, wache um 3.00 Uhr auf und bin hellwach. Keine Chance, wieder einzuschlafen. Appetit habe ich auch nicht mehr – ich muss mich zum Essen zwingen.
Angelika hat einen 16-jährigen Sohn. Ihre Partnerschaften sind immer schiefgegangen. Man kann mit ihr nicht reden. Sie hat stundenlang am Computer gespielt. In unserer Beziehung ist sie immer seltener mitgegangen, wenn ich Konzerte gegeben habe. Aber sie war wahnsinnig eifersüchtig, was meine Frauenkontakte betraf. Sie hat ständig mein Handy durchforstet, um Frauen in meinem Leben zu entdecken.
Der Auslöser des Schlussmachens war mein 30. Geburtstag. Eine Frau hat angerufen – eine ehemalige Kollegin. Ich habe sie am Handy weggedrückt, um Angelika keinen Grund für eine Szene zu geben. Aber wie das Leben so spielt, sie hat gesehen, dass ich einen Anruf verheimlichen will. Sie hat mich vor allen angeschrien, dass ich sie belogen und betrogen habe … Wenn ich auf der Straße Frauen nachgeschaut habe – das ist doch das normalste der Welt, das macht jeder Mann! – , dann ist sie gleich aggressiv geworden.
Der Sex ist zwischen uns auch immer weniger geworden. Sie war da sehr kompliziert. Und unangenehm war auch, dass ihr Bub gleich neben ihrem Schlafzimmer sein Zimmer hatte. Er hat an der Türe geklopft, wenn wir seinem Geschmack nach zu laut waren. Das steigert nicht unbedingt die Erotik … Sie konnte wirklich nett sein – das ist aber immer weniger geworden. Ich habe sie finanziell unterstützt – ich weiß gar nicht, wie sie jetzt weitermacht. Na, vielleicht hat sie eh schon den Nächsten? Sie konnte aber auch sehr aggressiv sein – einmal hat sie mich sogar geschlagen! Ich durfte danach nicht einmal sagen, dass ich Schmerzen habe. Ich war früher oft alleine: das mag ich nicht. Deswegen lass ich mir viel gefallen. Das Problem war – glaub ich – , dass wir nie richtig über unsere Beziehung gesprochen haben.«
Helmut und Angelika haben wohl nicht so richtig harmoniert. Schwer zu sagen, wer daran mehr Anteil hatte. Gott sei Dank muss ein Psychiater nicht Richter sein. Viel von diesen Konflikten war für beide offensichtlich nicht wirklich aussprechbar. Es lag unausgesprochen zwischen ihnen. Diese unausgesprochenen Liebestöter, denen wir auf der Spur sind, sind bei den meisten Paaren im Unbewussten beheimatet. Freud beschreibt das Unbewusste 1916 in der Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse:»Es ist der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit. Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen.« Wenn Freud selbst Vergleiche empfiehlt, dann verwenden wir zum besseren Ver