KAPITEL I
1917 und die Revolution
der Erwartungen
Am 19. Januar 1917 ging in der deutschen Gesandtschaft in Mexiko-Stadt ein Telegramm mit einer höchst bemerkenswerten und ebenso folgenreichen Anweisung ein. Der deutsche Außenminister Arthur Zimmermann forderte darin Heinrich von Eckardt, den deutschen Gesandten in Mexiko, auf, die Möglichkeiten einer militärischen Allianz mit Mexiko auszuloten. Sollte Mexiko aufseiten der Mittelmächte in den Krieg eintreten, das möge er der mexikanischen Regierung unter Venustiano Carranza ausrichten, werde Berlin dem Land finanzielle und logistische Hilfe zukommen lassen. Zudem werde man etwaige Bestrebungen unterstützen, die ehemals mexikanischen, im Jahr 1848 von denUSA annektierten Gebiete Texas, Neumexiko und Arizona zurückzugewinnen. Neben dieser brisanten Offerte enthielt das Telegramm noch den Hinweis auf die militärische Rückendeckung durch die »rücksichtslose Anwendung unserer U-Boote« im Atlantik. In einer weiteren Depesche vom 5. Februar drängte Zimmermann seinen Gesandten dann, unverzüglich mit dem mexikanischen Präsidenten in Kontakt zu treten.1
Der scheinbar aberwitzige Vorschlag – eine Idee des jungen Außenamtmitarbeiters Hans Arthur von Kemnitz, die rasch Anklang in höchsten politischen und militärischen Kreisen fand – verdient eine eingehendere Erläuterung. Denn letztlich haben die »Zimmermann-Depesche« und die Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs durch Deutschland, die einige Tage zuvor erfolgte, dieUSA zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg aufseiten der Entente veranlasst.2 Zimmermann, ein Karrierediplomat, der im November 1916 deutscher Außenminister wurde, hatte schon 1914 dafür plädiert, indigene Aufstände in den imperialen Territorien der Alliierten zu provozieren. Tatsächlich schmiedete das Auswärtige Amt seit Kriegsbeginn insgeheim Pläne zur Destabilisierung der Alliierten, indem man revolutionäre Bewegungen unterschiedlicher politischer Couleur förderte: irische Republikaner, die sich von London lossagen wollten, Dschihadisten in den britischen und französischen Kolonialreichen sowie russische Revolutionäre, die sich gegen das autokratische Regime in Petrograd verschworen hatten.3 Die Regierung in Berlin stand den politischen Zielen all dieser Bewegungen im Grunde genommen ziemlich gleichgültig gegenüber und suchte diese lediglich für ihre eigenen Zwecke zu nutzen, und das hieß, die Alliierten von innen heraus zu schwächen.4 Zimmermann zeigte sich dabei von Anfang an sehr engagiert. Schon 1914 traf er mit dem Menschenrechtsaktivisten und Republikaner Roger Casement zusammen, der die britische Herrschaft über Irland gewaltsam beenden wollte. Mit diesem verhandelte er über Hilfe bei der Bewaffnung der irischen Revolutionäre. Darüber hinaus unterstützte er die Errichtung des sogenannten Halbmondlagers in Wünsdorf bei Zossen, in dem etwa 30000 kriegsgefangene Muslime aus der britischen und französischen Armee interniert waren. Diese sollten zum Überlaufen animiert und für den »Heiligen Krieg« gegen ihre Kolonialherren ausgebildet werden.5 Zum Leidwesen der Strategen im deutschen Außenamt schienen alle diese Bemühungen aber kaum zu fruchten. Den rund 3000 muslimischen Kriegsgefangenen, die von Wünsdorf in ihre Heimat zurückgeschickt wurden und dort Unruhe stiften sollten, gelang es nie, Dschihadisten in nennenswerter Zahl zu mobilisieren. Im Frühjahr 1916 erlitt Berlin einen weiteren Rückschlag, als der von Deutschland unterstützte Osteraufstand in Irland nicht zur erhofften landesweiten Revolution führte und Roger Casement, der die ersten beiden Kriegsjahre im Reich verbracht und versucht hatte, aus Landsleuten in deutscher Gefangenschaft eine »Irische Brigade« zu rekrutieren, kurz nach seiner geheimen Reise nach Irland in einem deutschen U-Boot und Landung an