2. Kapitel
Die Schwester wartete geduldig, während Ava einen weiteren Versuch machte, ihren Bruder zu erreichen.
»Die Mailbox«, erklärte Ava entschuldigend. »Alle haben die Mailbox an. Niemand geht ans Telefon, ich habe es bei allen versucht. Es tut mir wirklich leid.« Ihre sämtlichen Freunde saßen in Meetings, in der U-Bahn oder beim Lunch und waren deswegen nicht zu erreichen.
»Kein Problem.« Auf dem Namensschild der Schwester stand »Julie Stork«. Ava fragte sich, ob sie leichter Zugang zu ihr finden würde, wenn sie ihren Vornamen benutzte. Sie selbst fand es immer ein bisschen unheimlich, wenn bei Starbucks nach ihrem Namen gefragt und der dann auf den Pappbecher geschrieben wurde, aber im Moment konnte sie eine Verbündete gebrauchen. Als Alternative bot sich ihr nur eine andere Schwester namens Tina, mit der sich Julie jetzt in ruhigem Ton unterhielt. Vor Tina konnte man Angst bekommen. Ihre Uniform spannte sich straff über ihrer kompakten Figur, und das Haar trug sie in einem ebenso straffen Pferdeschwanz; der unbarmherzige Blick ihrer Augen erinnerte an den hungriger Krähen. Sie war es gewesen, die Ava mitgeteilt hatte, sie dürfe das Krankenhaus nur in Begleitung einer Person verlassen, die sich während der nächsten vierundzwanzig Stunden um sie kümmern würde; gleichzeitig hatte sie ihrer Patientin nur allzu deutlich klargemacht, dass man ihr Bett so bald wie möglich wieder brauchte.
Ohne diesen Druck, jemanden zu finden, der sie abholte, hätte Ava ihren Krankenhausaufenthalt sogar genossen. Immerhin gab es hier gestärkte weiße Laken, Lamm mit grünen Bohnen, köstlichen Pudding und ein zerlesenes altes Exemplar der ZeitschriftOK!. So jedoch huschte ihr Blick die ganze Zeit nervös zu ihrem Smartphone: Alle paar Sekunden scrollte sie durch ihre Adressliste, schriebSMS oder WhatsApp-Nachrichten und aktualisierte die Seiten.
Als sie Schwester Tina »Da muss es doch jemanden geben« murmeln hörte, spürte Ava, wie ihr die Schamesröte in die Wangen stieg.
Deswegen stürzte sie sich förmlich auf ihr Handy, als es wieder einen Piepton von sich gab. Es war eine Nachricht von Rory:Kann hier nicht weg. Jonathon holt dich ab.
Ava schlug sich eine Hand vor den Mund. Wie konnte ihr Bruder nur ausgerechnet ihren Ex schicken? Warum nicht seine Assistentin, einen Praktikanten, irgendwen? Irgendjemanden, nur nicht den Typen, mit dem er sie verkuppelt und von dem sie sich vor drei Monaten getrennt hatte.
Schnell setzte sich Ava im Bett auf. Sie musste sich anziehen und diesen dämlichen, hinten offenen Krankenhauskittel loswerden. Die Zeitschrift fiel auf den Boden, und das nicht gerade leise. Ava suchte irgendetwas, um ihr Spiegelbild zu überprüfen, und fand schließlich das Messer auf ihrem Teller. Sie richtete ihre platte Frisur und benutzte ein Haargummi. Ihr war schwindlig. Sie ruhte sich kurz auf dem Bettrand aus und schaute genau rechtzeitig hoch, um zu sehen, wie Jonathon beschwingten Schrittes und mit einem Grinsen im Gesicht über den Flur auf sie zusteuerte.
»Hi, Jonathon«, begrüßte sie ihn mit einem verlegenen Lächeln, als er am Fußende ihres Bettes stehen blieb, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Dich hat ein Bus gestreift, habe ich gehört?«
Ava nickte. Dann versuchte sie aufzustehen, aber ihr wurde schon wieder schwindlig, und sie ließ sich zurücksinken. Er kam schnell ums Bett herum, um ihr zu helfen. »Danke«, murmelte sie.
»Schon gut. Keine Hektik.«
Sie musste dara