: Rainer M. Schießler
: Jessas, Maria und Josef Gott zwingt nicht, er begeistert
: Kösel
: 9783641223939
: 1
: CHF 3,50
:
: Christliche Religionen
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit diesem Buch spricht Pfarrer Schießler seinem Publikum aus der Seele
'Jessas, Maria und Josef!' - mit diesem Ausruf bei freudigen wie leidvollen Ereignissen ist Rainer Maria Schießler aufgewachsen. Und er begegnet ihm wieder in seiner alltäglichen Arbeit als Wanderprediger und unkonventioneller Seelsorger, als Bayerns bekanntester Kirchenmann und Bestsellerautor. Vor allem deswegen nimmt er in diesem neuen Buch die Themen der Menschen auf, die an ihn herantreten: Es geht um Fragen des Zusammenlebens, des Zweifelns und Glaubens, um das, was im Alltag trägt und Halt gibt.

'Gott zwingt nicht, er begeistert!'ist Schießlers Credo, mit dem er die Menschen, die in Scharen die Kirchen verlassen, wieder mit ihrem Glauben in Berührung bringt.

'Schießler ist ein Pfarrer, der da ist. Klartext-Predigten, Messen für Tiere, Kunstaktionen - ein Pfarrer, der außergewöhnliche Ideen hat.' Abendzeitung (18.03.2016)

'Ein Mann mit Charisma, der auf dem Oktoberfest als Kellner jobbt, sein Gotteshaus füllt und für seine Predigten Applaus erhält.' Focus online (08.03.2010)

Rainer Maria Schießler, geboren 1960, ist katholischer Pfarrer. Schießler gilt durch unkonventionelle Seelsorge und teilweise medienwirksame Aktionen als einer der bekanntesten Kirchenmänner in Deutschland. Sein Anliegen: Mit zugespitzten Appellen aufrütteln und für eine lebhafte, engagierte Kirche eintreten. Seit 1993 ist er Pfarrer in St. Maximilian in München. Von 2006 bis 2017 arbeitete Schießler immer wieder im Schottenhamel-Zelt des Münchner Oktoberfestes als Bedienung, seit 2020 produziert das Münchner Kirchenradio mit ihm einen Podcast 'Schießlers Woche - Hier spricht der Pfarrer'. Er ist Autor der Spiegel-BestsellerHimmel, Herrgott, Sakrament (Verfilmung durch Franz Xaver Bogner für den Bayerischen Rundfunk ist in Arbeit),Jessas, Maria und Josef undDie Schießler-Bibel.

Bestimmung


Ist das schon das Elysium, das Paradies? Es ist ein Tunnel aus Licht, in den ich aus einem dunklen Tal unaufhaltsam eingesogen und emporgehoben werde, während mich gleichzeitig ein seltsamer Schmerz durchzieht, der mich zu halten sucht und in das Dunkle, das Bewusstlose zurückziehen möchte. Es riecht nach schwerer Erde, Fäulnis und Moos, ein kalter Luftzug aus der Tiefe, und dann die Geräusche, mehr und mehr. Seltsames dumpfes Tönen und Stampfen dringt jetzt zu mir, wird lauter und lauter. Und dann dieses Licht, dieses gleißende, alles überblendende Licht, das mir die Augen tränen lässt, die ich jetzt verwundert reibe. Ich liege, geblendet von einer plötzlich hinter den Wolken hervorscheinenden Sonne, auf einer Decke an einem Waldrand mit Blick auf ein sanft geschwungenes Tal. Für einen Moment ist alles neu: Wie bist du hergekommen an diesen Ort? Wenn du so aus tiefem Schlaf gerissen wirst, im Aufwachen nicht mehr weißt, wer du bist, wie du heißt, wo du bist und wie du hierhergekommen bist – so in etwa stelle ich mir Auferstehung vor.Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes, und so ist es immer, wenn wir erwachen, aufs Neue eine Wiederauferstehung. Jeden Morgen. Und auch jetzt. Ich versuche mich zu erinnern. Ich blicke mich um.

Was rumpelt, ist eine der gigantischen Landmaschinen, auf der ein Bauer wenige Meter entfernt seine Runden über den Acker pflügt, und das nervend schrille Geräusch ist mein Handywecker, der mich anblafft, dass ich endlich aufwachen soll. Dann endlich bin ich es – wach. Auferstanden von den Toten. Kein Elysium – und so langsam kommt jetzt die Erinnerung: die Lesung! Am Nachmittag war ich aufgebrochen in München, bin drei Stunden früher aus der Stadt raus, um nicht im Stau zu stehen und mit meinem 20 Jahre alten, von Fahrverboten bedrohten Diesel Golf noch mehr Feinstaub aufzuwirbeln, denVW-Affen in denKZ-Laboren noch mehr Stickoxide zu geben und das Ozonloch zu vergrößern: »WirAFFEN das!«

München ist mit 51 Stunden Stau pro Jahr Rekordhalter in Deutschland, noch vor der Feinstaubmetropole Stuttgart. Wir meinen es nicht gut mit der Schöpfung. Nicht mit uns. Als ich meinen Diesel kaufte, galt er noch als fahrendes Reinluftgebiet. Jetzt ist er plötzlich eine Dreckschleuder. Bald werde ich mich trennen müssen von meinem alten Weggefährten. Was für ein Wandel!

Auch für mich. Zwei Jahre sind vergangen, seit ich mit meinem Hund Phili und einer Leberkässemmel am Faschingsdienstag vor dem Bodystreetladen in meinem bisherigen Missionsgebiet stand und meine Wandlung zum Wanderprediger beschlossen habe. Sehr viel leichter bin ich zwar nicht geworden, trotz Fasten und weniger Leberkässemmeln, ich bin eher ein Jojo, wenn es ums Abnehmen geht, dazu genieße ich zu gerne – aber so eine Art Wanderprediger bin ich tatsächlich geworden. Die zurückliegenden zwei Jahre haben mein Leben tiefgreifend verändert. Ich mache mich seither auf den Weg zu den Menschen. Nicht nur in meinem Viertel. In ganz Deutschland. Ich bin unterwegs. So unterwegs, wie ich es vorher nie war.

Auf meiner Pilgerreise habe ich Hunderte von Lesungen absolviert, habe Fernsehstudios und Talkshows besucht und unzählige Gespräche geführt und wirklich sehr schöne Begegnungen und Gespräche erlebt. So auch an diesem Tag, wo ich plötzlich am Rand dieses Ackers aufgewacht bin. Ich wollte ohne Hast anreisen und vor allem wollte ich pünktlich sein. Deutsche Grundtugenden, ja, mag sein, etwas aus der Mode gekommen, aber das ist Ergebnis der konsequenten Erziehung meiner gottesfürchtigen Mama und bleibt drin in mir. Die Vorteile sind bestechend. Es ist halt blöd, wenn ich gehetzt und genervt ankomme, wie ich es in der ersten Zeit meiner Reisen oft erlebt habe. Ich müsste mich erst sammeln, doch schon strömen Menschen auf mich zu, ziehen mich mit, gleich rein in den vollen Saal, auf die Bühne, die Menschen warten schon, die Erwartungen an mich sind groß – ohne Reifenanwärmen gleich ins Rennen? Gutes Handwerk ist das nicht. Also fahre ich früher los. Bin da. Präsent. Aus Erfahrung gut.

Aus München kam ich prima raus, noch vor der Rückreisewelle der Pendler, sodass ich diesmal sogar zwei Stunden zu früh am Zie