: Iwan Turgenjew
: Das Adelsgut Roman. Übersetzt von Christiane Pöhlmann, mit einem Nachwort von Michail Schischkin
: Manesse
: 9783641221218
: Manesse Bibliothek
: 1
: CHF 13,20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Iwan Turgenjews erzählerisches Glanzstück endlich in Neuübersetzung
Fjodor Lawrezki kehrt nach Jahren im Westen in seine Heimat zurück, um das Gut seines Vaters zu übernehmen. Seine Ehe mit der selbstbezogenen Warwara ist gescheitert und Fjodor muss sich neu finden. Gegen seinen Willen verliebt er sich in Lisa, eine pflichtbewusste junge Frau, für die ihre Mutter eine ganz andere Partie vorgesehen hat. Der Beginn einer schwierigen Liebesgeschichte... Für seine Landschaftsschilderungen und den lyrischen Grundton seiner Prosa berühmt, war es Iwan Turgenjew, der die russische Literatur endgültig nach Europa gebracht hat. Den Geburtstag dieses bedeutendsten Vertreters des russischen Realismus feiern wir mit einer vielstimmigen Neuübersetzung eines erzählerischen Hauptwerks.

Iwan S. Turgenjew, 1818 in Orjol geboren und 1883 in Bougival bei Paris gestorben, stammt aus altem Adelsgeschlecht. Nach dem Studium der Literatur und der Philosophie in Moskau, St. Petersburg und Berlin war er für zwei Jahre im Staatsdienst tätig. Danach lebte er als freier Schriftsteller und verfasste Erzählungen, Lyrik, Dramen, Komödien und Romane. Turgenjew gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des russischen Realismus und zählt zu den großen europäischen Novellendichtern. Seine Novellistik bedeutet einen Höhepunkt der Gattung in der russischen Literatur.

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Im Laufe von zwei Wochen brachte Fjodor Iwanytsch das Haus von Glafira Petrowna in Ordnung, machte in der Auffahrt und im Garten sauber. Er ließ bequeme Möbel aus Lawriki sowie Wein, Bücher und Zeitschriften aus der Stadt kommen, im Stall standen wieder Pferde. Kurzum, Fjodor Iwanytsch besorgte alles, was nötig war, und begann sein neues Leben, mochte es nun das eines Gutsbesitzers oder das eines Einsiedlers sein. Die Tage verliefen gleichförmig, indes, er langweilte sich nicht, auch wenn er keinen Besuch empfing; er befasste sich emsig und konzentriert mit Fragen der Bewirtschaftung, ritt aus und las, Letzteres jedoch nur selten, denn es bereitete ihm weit größere Freude, den Erzählungen des alten Anton zu lauschen. Für gewöhnlich setzte sich Lawrezki mit einer Tabakspfeife und einer Tasse kalten Tees ans Fenster; Anton bezog neben der Tür Stellung, die Hände auf dem Rücken, und trug seine Geschichten aus dem Alltag längst vergangener Zeiten vor, aus jenen ganz fabelhaften Zeiten, als der Hafer und der Roggen nicht krug-, sondern säckeweise verkauft wurden, für zwei oder drei Kopeken pro Sack; als sich in alle Himmelsrichtungen bis hin zur Stadt undurchdringliche Wälder und unberührte Steppen zogen. «Aber heutigentags», klagte der Alte, der bereits über achtzig Jahre war, «wo man alles abgeholzt und aufgepflügt hat, da kommt ja nirgendwo kein Pferd nich’ durch.» Anton wusste auch eine Menge von seiner einstigen Herrin Glafira Petrowna zu berichten, davon, wie umsichtig und sparsam sie gewesen war; wie ein gewisser Herr, der junge Nachbar, sie hofiert und deshalb alle naslang besucht habe; die gute Haube mit den massakafarbenen Bändern habe sie eigens für ihn aufgesetzt und das gelbe Kleid aus Levantinentrütrü61 angezogen; eines Tages habe der Herr Nachbar sie dann gefragt: «Über ein Sümmchen wird Sie doch wohl gebieten?», worüber sie sich so furchtbar geärgert habe, dass sie ihm auf der Stelle das Haus verboten habe; bei der Gelegenheit habe sie denn auch angeordnet, dass nach ihrem Ende alles, also auch noch das letzte Fitzelchen, an Fjodor Iwanowitsch übergehen solle. Lawrezki fand in der Tat die gesamte Habe der Tante – darunter auch die «gute Haube mit den massakafarbenen Bändern» und das «gelbe Kleid aus Levantinentrütrü» – unangetastet vor. Alte Papiere oder interessante Dokumente, auf die Lawrezki gehofft hatte, entdeckte er jedoch nicht, von einem zerfledderten Buch abgesehen, in dem sein Großvater, Pjotr Andrejitsch, allerlei festgehalten hatte, beispielsweise den «Festakt in der Stadt Sankt Petersburg aus Anlass des Friedensschlusses, den Seine Erlaucht Fürst Alexander Alexandrowitsch Prosorowski mit dem Türkischen Reich geschlossen hat»,62 einen Kommentar zu einem Absud bei Brustkrankheiten – «Jene Rezeptur gab weiland der Erzpriester der Heiligen Dreifaltigkeitskirche, Theodor Awxentjewitsch, der Frau Generalin Praskowja Fjodorowna Saltykowa» – und politische Anmerkungen folgender Art: «Kein Wort über die französischen Tiger»63 oder auch: «DieMoskauer Nachrichten vermelden, dass der Herr Premiermajor Michail Petrowitsch Kolytschow dahingeschieden ist. Ob das der Sohn vom alten Pjotr Wassiljewitsch Kolytschow war?» Sogar einige Kalender aus weit zurückliegenden Jahren und Traumbücher sowie jenes sonderbare Werk des Herrn Ambodik fand Lawrezki; die längst vergessenen, doch so vertrautenSymbole und Embleme weckten zahlreiche Erinnerungen in ihm. Im Toilettentisch Glafira Petrownas stieß er tief in einer Lade auf ein schmales, mit einem schwarzen Band verschnürtes und mit schwarzem Lack versiegeltes Portefeuille. Darin steckten ein Pastellporträt sein