1. KAPITEL
Was wurde aus den Königskindern von Vostov?
Die Schlagzeile sprang Holly Maitland sofort ins Auge, als sie den Empfangsraum der Frieden Klinik betrat, um auf ihren neuen Patienten zu warten.
Die exklusive Privatklinik war international, und wie die meisten Mitarbeiter sprach auch Holly mehrere Sprachen fließend. Ihr fiel auf, dass alle Zeitungen, egal ob französisch, italienisch oder deutsch, ähnliche Schlagzeilen hatten wie die englischen. Bevor die Presse angefangen hatte, sich für Vostov zu interessieren, hatte Holly noch nie von dem kleinen Fürstentum auf dem Balkan gehört.
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit von den Zeitungen, die ordentlich arrangiert auf einem Couchtisch vor einem eleganten Brokatsofa lagen, zu den großen Fenstern, die einen spektakulären Blick auf die österreichischen Alpen boten. Das leise Ticken der antiken Wanduhr war in der klösterlichen Stille der Lounge kaum zu hören. Es herrschte eine Atmosphäre von diskretem Luxus.
Die Schneepflüge hatten die Straße, die sich von Salzburg hier hinaufschlängelte, schon geräumt, doch es waren keine Autos zu sehen. Ihr Patient kam zu spät.
Leicht gereizt fragte sie sich, warum er nicht von einem Chauffeur vom Flughafen hatte abgeholt werden wollen, wie es üblich war. Hoffentlich trog der Eindruck, doch alles deutete darauf hin, dass Jarek Dvorska Saunderson eine echte Nervensäge war.
Jarek war der Star der Londoner Finanzwelt. Nach seinem Erfolg an der Börse, der ihn zum Multimillionär gemacht hatte, war ihm die „Gabe des Midas“ zugesprochen worden. Dann, vor ein paar Jahren, hatte es einen Skandal bei der Saunderson Bank gegeben – einer der renommiertesten Banken Großbritanniens, in deren Chefetage Jarek saß. Daraufhin hatte ihn der neue Vorstandsvorsitzende der Bank, der spanische Finanz-Tycoon Cortez Ramos, der zufällig auch Jareks Schwager war, gefeuert.
Der Knick in seiner Karriere hatte Jareks Jetset-Leben offenbar nicht beeinträchtigt. Die Paparazzi jagten ihn gnadenlos, und es verging kaum eine Woche, ohne dass Fotos von ihm in der Klatschpresse auftauchten, meist mit einer Blondine im Arm.
Die Stories über Trinkgelage, exzessive Partys und Frauengeschichten waren legendär – ebenso wie seine Leidenschaft für riskante Motorradrennen. Erst vor Kurzem hatte er bei einem Rennen sein Motorrad zerlegt und hinterher einen Journalisten attackiert, der ein Interview von ihm wollte. Dieser Vorfall hatte Jarek schließlich auch bewogen, sich professionelle Hilfe zu holen. Zumindest hatte Professor Franz Heppel, der medizinische Leiter der Frieden Klinik, Holly das im Vorgespräch erklärt.
Sie sah zur Uhr.Vielleicht kommt er ja gar nicht? Sie wusste nur zu gut, wie schwer es war, sich seinen persönlichen Dämonen zu stellen. Und es klang, als hätte Jarek Saunderson eine Menge davon.
Ein rumpelndes Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Instinktiv blickte Holly zu den höheren Hängen. In den Wintermonaten bestand in den Alpen Lawinengefahr, besonders nach starkem Schneefall. Doch es war nichts zu sehen. Sie blickte wieder auf die Straße, während das Getöse lauter wurde, und sah ein Motorrad um die Kurven brausen.
Minuten später sah Holly das Motorrad auf den Privatweg biegen, der zur Klinik führte. Sie ahnte schon, dass der Fahrer ihr Patient war. Nach allem, was sie über Jarek gehört hatte, wäre es typisch für ihn, im Januar mit dem Motorrad in die Berge zu fahren. Ein Sportkommentator hatte einmal gesagt, Jarek habe entweder Todessehnsucht oder ein so großes Ego, dass er sich für unsterblich hielt.
Ihr erster Einsatz in der Frieden Klinik klang nach einer interessanten Herausforderung, die sie hoffentlich meistern würde. Sie wollte bei Professor Heppel während ihrer dreimonatigen Probezeit einen guten Eindruck machen. Seine weltberühmte Klinik beschäftigte internationale Experten und bedeutete für sie als Psychotherap