Erstes Kapitel, in dem Nathalie neue Bekanntschaften schließt und jemand eine grausige Entdeckung macht
»Heute Abend komme ich mit meiner Kamera her, und dann machen wir das Ganze noch mal, dann aber professionell«, sagte Bill Purvis, als er mit Nathalie zusammen vom Black Feather zum Parkplatz ging.
»Meinen Sie wirklich, dass das nötig ist?«, fragte sie. »Auf den Handyfotos sieht man doch ganz gut, um welche Möbelstücke es geht.«
»Genau da irren Sie sich, Miss Ames«, erwiderte der Mann und blieb stehen, um den Wagenschlüssel aus der Hosentasche zu ziehen. »Sie sehen das so, weil Sie diese Möbel kennen. Wenn Sie sich das Foto anschauen, dann sehen Sie in Wahrheit gar nicht das Foto, sondern Sie sehen vor Ihrem geistigen Auge das Bild von Ihrem Schrank, das Sie sich eingeprägt haben. Sie wissen, was auf dem Foto zu sehen ist. Jeder andere sieht nur das Foto, und das zeigt ein paar alte Möbel, die so keiner nehmen wird.«
Nathalie hob abwehrend die Hände. »Sie sind der Fachmann, Mr. Purvis.«
»Sagen wir … um sieben Uhr? Passt Ihnen das?«
»Ja, sieben Uhr klingt gut. Falls etwas dazwischenkommt, rufe ich Sie an«, versprach sie ihm und verabschiedete sich.
Purvis ging zu seinem knallroten Toyota-Pick-up und stieg ein. Nathalie wollte in den Pub zurückkehren, da bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass jemand auf sie zukam. Sie drehte sich um und sah Louise Cartham, ihre Köchin und rechte Hand für alles, was das Black Feather betraf – und noch mehr. Denn als ehemalige Agentin eines nach wie vor namenlosen Geheimdienstes – »es wäre ja kein Geheimdienst mehr, wenn ich Ihnen den Namen sagen würde«, so Louise – verfügte sie über die ungewöhnlichsten Kontakte. Dank dieser Kontakte und dank eines bemerkenswerten Archivs, das Nathalies Tante ihr zusammen mit der Kombination aus Pub, Café und Pension vermacht hatte, war es ihnen beiden in den letzten Monaten gelungen, gleich drei Verbrechen aufzuklären und die Täter zu überführen.
Die Verbrechensbekämpfung und -aufklärung fiel eigentlich in die Zuständigkeit von Constable Ronald Strutner, der von Louise jedoch als »trottelig« bezeichnet wurde. Nathalies Tante hatte an dem Mann aber einen Narren gefressen und ihn bei seiner Polizeiarbeit tatkräftig unterstützt, um zu verhindern, dass er versetzt wurde, sobald einer seiner Vorgesetzten merkte, wie miserabel seine Aufklärungsquote war. Allerdings wurde Nathalie den Verdacht nicht los, dass Strutner gar nicht so begriffsstutzig war, sondern bloß so tat, weil er gemerkt hatte, dass ihre Tante ihm zur Seite stand. Nathalie hatte zwar in dieser Hinsicht die Nachfolge ihrer Tante angetreten, aber langfristig wollte sie schon versuchen, Strutner ein wenig mehr in Richtung Selbständigkeit zu lenken. Es würde sich dann ja zeigen, ob sie mit ihrer Vermutung richtiglag.
»Louise, was schauen Sie so grimmig drein?«, fragte Nathalie, als die Köchin vor ihr stehen blieb. »Ist Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen?«
»Kann man so sagen«, antwortete Louise und zog das schwarze T-Shirt mit dem martialischen Iron-Maiden-Motiv darauf gerade. Verrutscht war es durch ihre Schultertasche, die sie jetzt neben sich abgestellt hatte. Der flotte Kurzhaarschnitt machte Louise trotz ihrer grauen Haare um viele Jahre jünger, und das T-Shirt in Kombination mit einer roten Lederhose ließen jede Schätzung noch mal um zehn Jahre nach unten gehen. »Gollaston ist nicht aufgetaucht.«
»Wahrscheinlich hat ihm Ihre Rockerbraut-Aufmachung Angst gemacht«, g