Kapitel 1Die Nachricht auf dem Stoppschild
Karnelius J. Mausington gehörte nicht zu den Katzen, die sich so einfach ignorieren ließen. Er zog an seiner Leine, die sich daraufhin fester um Marrills Arm wickelte und sie aus ihren Gedanken riss. Marrill machte eine ungeduldige Handbewegung. Karni sollte Ruhe geben. Ihr Blick blieb unverwandt auf die drei kleinen Jungs gerichtet, die vor ihr standen. Der Kleinste von ihnen hielt einen Gegenstand in der Hand, den es eigentlich gar nicht gab.
Zumindest nicht inihrer Welt.
»So was hab ich noch nie gesehen«, sagte Tim und gab ihn ihr. Dabei wurde er rot.
Marrill musste das Zittern ihrer Finger unterdrücken, als sie den Gegenstand in ihren Händen wendete. Es handelte sich um eine Art Netz oder besser um eine Art Spinnwebe aus Seifenfilm, die mit einem einzelnen Faden an einem dünnen Stab aus Glas befestigt war. Das Gebilde wirkte so zart, dass sie fürchtete, es könnte sich auflösen, wenn sie es zu fest anfasste. Dabei hielt es sogar der Gewalt eines Hurrikans stand, hatte Fin einmal gesagt.
Die Hatch-Jungs blickten erwartungsvoll zu ihr auf. Sie hatten Marrill an diesem Tag schon zum dritten Mal zu dem leeren Grundstück am Rand der Wohnsiedlung gerufen, weil sie angeblich die bei der jüngsten Überschwemmung angespülten Schätze von Atlantis gefunden hatten. Bisher hatten diese »Schätze« allerdings nur aus der Hälfte eines alten Reifens, zwei Glasflaschen und einem Stein bestanden, der zwar stärker glänzte als andere Steine, aber auch wieder nicht so viel stärker.
Meist dachte Marrill sich für die Jungs eine entsprechende Geschichte aus – dass der alte Knochen einer Kuh in Wirklichkeit von einem Drachenbaby stammte oder eine verrostete Kaffeedose der Antrieb eines abgestürzten außerirdischen Raumschiffs war.
Diesmal brauchte sie nichts zu erfinden.
»Das ist ein Wolkenfängernetz«, erklärte sie.
Sie kaute auf ihrer Lippe. Auf dem Piratenstrom wäre ein solcher Fund nichts Ungewöhnliches. Im Gerümpelturm des Griesgrams in der Eiswüste hatte sie einen ganzen Haufen davon entdeckt.
Der Piratenstrom war allerdings auch ein mit reiner Magie gefüllter, endloser Fluss voller phantastischer magischer Gegenstände und verrückter magischer Orte. Aber hier war Arizona – und wohl kein anderer Ort hatte so wenig mit Magie zu tun. Entsprechend selten waren Wolkenfängernetze.
Marrill starrte das Gespinst an, und eine unbehagliche Mischung aus Aufregung, Furcht und Verwirrung stieg in ihr auf. »Wo genau habt ihr das gefunden?«, fragte sie.
»Unten in der Schlucht. Da liegen jede Menge tolle Sachen rum. Komm, wir zeigen sie dir!« Der mittlere Hatch marschierte über das leere Grundstück, dicht gefolgt von seinen Brüdern.
Es hatte erst vor ein paar Stunden geregnet, für Wüstenverhältnisse eine Menge, und der Boden war noch mit Pfützen übersät. Marrill nahm Karnelius auf den Arm und eilte den anderen über die feuchte Erde nach.
Die fragliche »Schlucht« war in Wirklichkeit eher ein großer, tiefer Graben, der am Ende des Grundstücks entlangführte und in einen schmalen Abzugskanal unter der Straße mündete. Meist war er knochentrocken, doch nach dem morgendlichen Regen schlängelte sich als letzter Rest der Überschwemmung ein dünnes Rinnsal über den Boden.
Die Hatch-Brüder führten Marrill zu einigen rostigen Metalltrümmern, die sich am Eingang des Kanals quergestellt hatten. Ted streckte die Hand aus. »Dort haben wir es gefunden. Sieh mal, was da noch alles ist!«
»Hm …« Marrill setzte Karni ab, ohne seinen Protest zu beachten, und stocherte vorsichtig in dem Metallschrott. Was sie entdeckte, verwirrte sie noch mehr: einen gesprungenen Schild gegen Albträume, der immer noch die Zähne bleckte, um die bösen Träume fernzuhalten; eine abgebrochene Angelrute, in die eine Möggelkrabbe geschnitzt war, und einen Gegenstand, der verdächtig wie ein Hoffnungskristall aussah. Alles Dinge, die es nur