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»Jetzt haben Sie Ihr Leben zurück.«
»Welches Leben?« Ich schaute auf den Park hinunter, es war Sommer, die Menschen trugen bunte T-Shirts und dunkle Sonnenbrillen, einige waren zu zweit, andere hatten nur ein Handy, sie kamen und gingen, sie hatten alle einen Plan, ich hatte keinen.
»Werden Sie nicht abgeholt?«
Ich drehte mich um. Sabrina Padelli stand immer noch mit meiner Adidas-Tasche in der offenen Zimmertür. Sie war um die dreissig und hatte halblanges braunes Haar. Ich wollte ihr sagen, dass ich von niemandem erwartet wurde und meine Rückkehr vielleicht nicht allen gefallen werde, aber ich verkniff mir die Bemerkung. Mich ihr anzuvertrauen, hielt ich für eine schlechte Idee – Padelli hatte über die psychosozialen Folgen schwerer Schädel-Hirn-Traumata promoviert, ging zweimal die Woche schwimmen und verfasste Berichte über mich.
»Sie hatten damals nach Ihrer Einlieferung oft Besuch, eine junge Frau, können Sie sich erinnern?«
Ich ging langsam auf sie zu. »Das war früher«, sagte ich mit schleppender Stimme, »jetzt ist nicht mehr früher.«
Sie schien besorgt und zog die Stirn in Falten, wie sie es in letzter Zeit immer getan hatte, wenn sie spürte, dass ich mir keine Illusionen mehr machte. Aber es war nicht meine Aufgabe, sie aufzumuntern, sie hingegen wurde dafür bezahlt, mich und meine Adidas-Tasche nach Hause zu bringen.
»Sie wollen immer noch nicht darüber sprechen«, stellte sie bedrückt fest, als empfinde sie meine Weigerung als persönliches Versagen.
Wir traten auf den bunt gestrichenen Flur hinaus, ein bisschen Flower-Power im Todestrakt, sie taten hier alles, damit wir uns besser fühlten. Nach ein paar Schritten blieb ich stehen, hatte bereits Mühe mit dem Atmen. Ich warf einen letzten Blick in Zimmer 204, das in den letzten Jahren mein Zuhause gewesen war. Ich war da und war doch nicht da. Als wir den Flur entlanggingen, fragte die Psychologin, worauf ich mich am meisten freute