: Eduard von Keyserling
: Jürgen Schulze
: Wellen Roman
: Null Papier Verlag
: 9783962814342
: Keyserling bei Null Papier
: 3
: CHF 0.90
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: Erzählende Literatur
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Badesommer an der Ostsee - ein scheinbares Idyll Doralice hat sich von ihrem älteren, standesgemäßen Gatten Graf Köhne-Jasky getrennt und lebt nun mit dem Maler Hans zusammen. Doch noch immer ist sie hin- und hergerissen zwischen ihrem aufgegebenem gesellschaftlichem Rang und der Liebe zu Hans. Doralice, der nur allzu bewusst ist, dass sie aufgrund ihrer Trennung nicht mehr gesellschaftsfähig ist, genießt das Werben der 'besseren Gesellschaft', des Barons von Buttlär und auch des Leutnants Hilmar. Ein abgewiesener Antrag auf einem Geburtstagsfest führt schließlich zur Katastrophe. Der 'bessere Fontane' - wie Keyserling von manchen genannt wurde diktierte diesen Roman - schon schwer von Krankheit geschlagen seiner Schwester. Null Papier Verlag

Eduard Graf von Keyserling (1855-1918) war ein deutscher Schriftsteller und Dramatiker des Impressionismus. Seine Schwestern Henriette (1839-1908) und Elise (1842-1915) wurden ebenso als Schriftstellerinnen bekannt. Keyserling war selbst in seinem Stand ein Einzelgänger und gesellschaftlich isoliert. Immer mal wieder vergessen und neu entdeckt gilt Keyserling aufgrund seiner ab 1903 veröffentlichten Erzählungen, Novellen und Romane als einer der wenigen bedeutenden impressionistischen Erzähler.

Erstes Kapitel


Die Ge­ne­ra­lin von Pa­li­kow und Fräu­lein Mal­wi­ne Bork, ihre lang­jäh­ri­ge Ge­sell­schaf­te­rin und Freun­din, ka­men in das Wohn­zim­mer. Sie woll­ten sich ein we­nig er­ho­len. Die Ge­ne­ra­lin setz­te sich auf das Sofa, das frisch mit ei­nem blan­ken, schwarz und ro­ten Kat­tun be­zo­gen war. Sie war sehr er­hitzt und lös­te die Hau­ben­bän­der un­term Kinn. Das lila Som­mer­kleid knis­ter­te leicht, die wei­ßen Haar­ku­chen an den Schlä­fen wa­ren ver­scho­ben und sie at­me­te stark. Sie schwieg eine Wei­le und schau­te mit den ein we­nig her­vor­ste­hen­den grell­blau­en Au­gen kri­tisch im Zim­mer um­her. Das Zim­mer war weiß ge­tüncht, we­nig schwe­re Mö­bel stan­den an den Wän­den um­her und über die Bret­ter des Fuß­bo­dens war Sand ge­streut, der in der Abend­son­ne glit­zer­te. Es roch hier nach Kalk und See­moos.

»Hart«, sag­te die Ge­ne­ra­lin und leg­te ihre Hand auf das Sofa.

Fräu­lein Bork neig­te den Kopf mit dem leicht er­grau­ten Haar auf die lin­ke Schul­ter, blick­te schief durch die Glä­ser ih­res Knei­fers auf die Ge­ne­ra­lin, und das bräun­li­che Ge­sicht, das aus­sah wie das Ge­sicht ei­nes klu­gen äl­te­ren Herrn, lä­chel­te ein nach­denk­li­ches, ver­zei­hen­des Lä­cheln. »Das Sofa«, sag­te sie, »na­tür­lich, aber man kann es nicht an­ders ver­lan­gen. Für die Ver­hält­nis­se ist es doch sehr gut.«

»Lie­be Mal­wi­ne«, mein­te die Ge­ne­ra­lin, »Sie ha­ben die An­ge­wohn­heit, al­les ge­gen mich zu ver­tei­di­gen. Ich grei­fe das Sofa gar nicht an, ich sage nur, es ist hart, das wird man doch noch dür­fen.«

Fräu­lein Bork er­wi­der­te dar­auf nichts, sie lä­chel­te ihr ver­zei­hen­des Lä­cheln und schau­te schief durch ih­ren Knei­fer jetzt zum Fens­ter hin­aus auf den klei­nen Gar­ten, der da­vor lag. Salat und Kohl wuch­sen dort recht küm­mer­lich, Son­nen­blu­men stan­den da mit großen schwar­zen Her­zen und über al­le­dem lag ein leich­ter blon­der Staub­schlei­er. Da­hin­ter der Strand grell oran­ge in der Abend­son­ne, end­lich das Meer un­deut­lich von all dem un­ru­hi­gen Glan­ze, der auf ihm schwamm, von den zwei re­gel­mä­ßi­gen wei­ßen Stri­chen der Bran­dungs­wel­len um­säumt. Und ein Rau­schen kam her­über ein­tö­nig, wie von ei­nem schläf­ri­gen Takt­stock ge­lei­tet.

Die Ge­ne­ra­lin hat­te den Bul­len­krug für den Som­mer ge­mie­tet, um hier an der See ihre Fa­mi­lie um sich zu ver­sam­meln. Vor drei Ta­gen war sie mit Fräu­lein Bork, Frau Klin­ke, der Mam­sell,1 und Er­nes­ti­ne, dem klei­nen Dienst­mäd­chen, hier an­ge­langt, um al­les ein­zu­rich­ten. Es er­for­der­te Ar­beit und Nach­den­ken ge­nug, für alle die­se Men­schen Platz zu schaf­fen und nicht nur Platz, »denn«, pfleg­te die Ge­ne­ra­lin zu sa­gen, »ich ken­ne mei­ne Kin­der, bei al­lem, was ich gebe, sind sie kri­tisch wie ein Thea­ter­pu­bli­kum.« Heu­te nun war die Toch­ter der Ge­ne­ra­lin, die Baro­nin von Butt­lär, mit den Kin­dern, den bei­den eben er­wach­se­nen Mäd­chen Lolo und Nini und dem fünf­zehn­jäh­ri­gen We­dig, an­ge­langt. Der Baron Butt­lär soll­te nach­kom­men, so­bald die Heu­ern­te be­en­det war, und Lo­los Bräu­ti­gam Hil­mar von dem Hamm, Leut­nant bei den Braun­schwei­ger Husa­ren, wur­de auch er­war­tet.

»Wer­den sie auch heu­te Abend alle satt wer­den?« be­gann die Ge­ne­ra­lin wie­der. »Die Rei­se macht hung­rig.« – »Ich den­ke«, er­wi­der­te Fräu­lein Bork, »da sind die Fi­sche, die Kar­tof­feln, die Erd­bee­ren, und We­dig hat sein Beefs­teak.«

»So, so«, mein­te die Ge­ne­ra­lin, »üb­ri­gens der Jun­ge wird es im Le­ben nicht leicht ha­ben, wenn er im­mersein Beefs­teak ha­ben muss.«

Fräu­lein Bork zuck­te mit den Ach­seln und sag­te ent­schul­di­gend: »Er ist so zart.« Aber das är­ger­te die Ge­ne­ra­lin: »Ge­wiss, ich gön­ne ihm sein Beefs­teak, Sie brau­chen ihn nicht zu ver­tei­di­gen. Nur fin­de ich, lie­be Mal­wi­ne, dass Sie kei­nen rech­ten Sinn ha­ben für das, was man all­ge­mei­ne Be­mer­kun­gen nennt.« Dann schwie­gen die bei­den Da­men wie­der.

Drau­ßen von der Holz­ve­ran­da tön­te Lärm her­über, Teller­ge­klap­per und hohe Stim­men. Er­nes­ti­ne deck­te dort den Tisch für das Abendes­sen und stritt da­bei mit We­dig. Auch Lolo und Nini wa­ren er­schie­nen, sie lehn­ten an der Holz­brüs­tung der Ve­ran­da schmal und schlank in ih­ren blau­en Som­mer­klei­dern. Der See­wind fuhr ih­nen in das leich­te rote Haar und ließ es hübsch um die Ge­sich­ter mit den fast krank­haft fei­nen Zü­gen flat­tern. Die Mäd­chen zo­gen ein we­nig die Au­gen­brau­en zu­sam­men und schau­ten mit den blan­ken braun­ro­ten Au­gen un­ver­wandt auf das Meer und öff­ne­ten die Lip­pen, als woll­ten sie lä­cheln, aber das große be­weg­te Leuch­ten vor ih­nen mach­te sie schwin­de­lig. Auch We­dig hat­te sich nun zu ih­nen ge­sellt und schau­te auch schwei­gend hin­aus. Das kränk­li­che Kna­ben­ge­sicht ver­zog sich, als täte all die­ses Licht ihm weh.

»So«, sag­te die Ge­ne­ra­lin drin­nen zu Fräu­lein Bork, »das war ein an­ge­neh­mer stil­ler Au­gen­blick. Ich höre, mei­ne Toch­ter kommt die Trep­pe her­un­ter, nun kann es wie­der los­ge­hen.«

Frau von Butt­lär hat­te ein we­nig ge­schla­fen, trug ih­ren Mor­gen­rock und hüll­te sich frös­telnd in ein wol­le­nes Tuch. Sie moch­te frü­her das hüb­sche überz­ar­te Ge­sicht ih­rer Töch­ter ge­habt ha­ben, jetzt wa­ren die Wan­gen ein­ge­fal­len und die Haut leicht ver­gilbt. Auf­ge­braucht von Mut­ter­schaft und Haus­frau­en­tum war sie sich ih­res Rech­tes be­wusst, kränk­lich zu sein und nicht mehr viel auf ihr Äu­ße­res zu ge­ben.

Man setz­te sich auf der Ve­ran­da zur Abend­mahl­zeit nie­der an den Tisch, über den das rote Abend­licht hin­flu­te­te und der See­wind an dem Tisch­tuch und den Ser­vi­et­ten zerr­te. Das mach­te die Ge­sell­schaft schweig­sam, so das Meer vor sich, war es, als sei man nicht al­lein, nicht un­ter sich.

»Ich habe mir das Meer grö­ßer ge­dacht«, er­klär­te We­dig end­lich.

»Na­tür­lich, mein Sohn«, mein­te die Ge­ne­ra­lin. »Du willst wohl für dich ein Ex­tra-Meer.«

Frau von Butt­lär lä­chel­te ge­rührt und sag­te lei­se: »Er hat so viel Fan­ta­sie.« Fräu­lein Bork sah We­dig schief durch ih­ren Knei­fer an und mein­te: »An die Fan­ta­sie des Kin­des reicht selbst das Welt­meer nicht hin­an.«

Nun be­gann Frau von Butt­lär mit ih­rer Mut­ter ein Ge­spräch über Re­pe­now, ihr Gut, über Din­ge, die sie an­zu­ord­nen ver­ges­sen hat­te, von Ge­mü­sen, die ein­ge­macht wer­den soll­ten, und Dienst­bo­ten, die un­zu­ver­läs­sig wa­ren, lau­ter Sa­chen, die selt­sam fremd und un­pas­send in das Rau­schen des Mee­res hin­ein­klan­gen, dach­te Lolo. Aber un­ten am Tisch war ein Streit ent­stan­den zwi­schen We­dig und Er­nes­ti­ne. »Er­nes­ti­ne«, sag­te Fräu­lein Bork streng, »wie oft habe ich es dir nicht ge­sagt, du darfst beim Ser­vie­ren nicht spre­chen. Oh!Cet­te en­fant!«2 setz­te sie hin­zu und seufz­te. Die Ge­ne­ra­lin lach­te. »Ja, un­se­re Bork hat es mit Er­nes­ti­nes Er­zie­hung schwer, denkt euch, heu­te Mit­tag ent­schließt sich das Mäd­chen zu ba­den. Sie geht ins Meer nackt wie ein Fin­ger, am hel­len...