: Eduard von Keyserling
: Jürgen Schulze
: Beate und Mareile Eine Schlossgeschichte
: Null Papier Verlag
: 9783962814380
: Keyserling bei Null Papier
: 3
: CHF 0.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 137
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein romantischer Reigen aus Ehebruch, Verrat und Rache. Beate und Mareile sind Freundinnen seit frühester Kindheit. Beate entstammt einer adligen Familie, Mareile hingegen ist nur die Tochter des Gutsinpektors. Beate heiratet den ebenfalls adligen Günther. Mareile aber wird in Berlin zu einer gefeierten Sängerin. Jahre sind vergangen. Als Mareile ihre Familie besuchen will, trifft sie auf die nun schwangere Beate. Das Wiedersehen ist alles andere als harmlos, als Mareile erkennt, dass Günther merklich an ihr interessiert ist. Zu diesem Reigen gesellen sich alte, lüsterne Grafen, verzogene Jungfrauen, heißblütige Liebhaber und freigeistige Künstler. Im Gegensatz zu den meisten Autoren seiner Zeit hatte Keyserling keine Probleme, sexuelle Themen unverblümt darzustellen. Wenn etwa die hochschwangere Beate in Selbstekel die Ansicht von 'großen, hochbusigen' Mädchen beklagt, so ist das alles andere als wilhelminisch-prüde. Und wenn Günther seiner Geliebten befiehlt, 'Kehr' das Gesicht zum Feuer hin. Lass die Zöpfe über die Schultern hängen.', dann weiß der Leser genau, was gerade passiert. Null Papier Verlag

Eduard Graf von Keyserling (1855-1918) war ein deutscher Schriftsteller und Dramatiker des Impressionismus. Seine Schwestern Henriette (1839-1908) und Elise (1842-1915) wurden ebenso als Schriftstellerinnen bekannt. Keyserling war selbst in seinem Stand ein Einzelgänger und gesellschaftlich isoliert. Immer mal wieder vergessen und neu entdeckt gilt Keyserling aufgrund seiner ab 1903 veröffentlichten Erzählungen, Novellen und Romane als einer der wenigen bedeutenden impressionistischen Erzähler.

Erstes Kapitel


Aus dem Ba­de­zim­mer er­scholl ein gleich­mä­ßi­ges Plät­schern. Gün­ther von Tar­niff saß in sei­nem rot­gel­ben Ba­de­bas­sin. Die lau­war­me Du­sche wur­de in der Mor­gen­son­ne ganz blank – flie­ßen­des Kris­tall. Das war so hübsch und an­ge­nehm, dass Gün­ther sich nicht da­von tren­nen konn­te. Er saß da schon ge­rau­me Zeit und re­gis­trier­te die be­hag­li­chen Emp­fin­dun­gen, die über sei­nen Kör­per hin­g­lit­ten … wach­sam und auf­merk­sam, wie er je­des an­ge­neh­me Ge­fühl in sich zu ver­fol­gen pfleg­te, als müss­te aus die­ser Ad­di­ti­on sich ein Glück her­aus­rech­nen las­sen.

»Zie­hen Herr Graf die neu­en Wei­ßen an?« frag­te Pe­ter aus dem Ne­ben­zim­mer.

»Ja. Ge­fal­len sie dir nicht?« rief Gün­ther zu­rück.

»’ne neue Mode. Wird man se­hen«, mein­te Pe­ter.

Nun muss­te Gün­ther her­aus. Pe­ter rieb ihn be­hut­sam mit ei­nem wei­chen Tuch ab. Gün­ther pfleg­te sei­nen Kör­per wie ein Brah­ma­ne. Er be­wun­der­te ihn und ach­te­te ihn, als die Ta­fel, auf der das Le­ben vie­le, wich­ti­ge Genüs­se zu ver­zeich­nen hat.

»Frau Grä­fin wa­ren schon auf, bei der Mor­ge­n­an­dacht«, be­rich­te­te Pe­ter. »Ja, bei den al­ten Herr­schaf­ten im Flü­gel ist Mor­ge­n­an­dacht mit den Leu­ten vom Al­ten Te­sta­ment, wie die Ama­lie sagt.«

»Teu­fel. Dann sind wir hier das Neue Te­sta­ment – was? Be­deu­tend fre­che Jung­frau, die Ama­lie. Und du?«

»Gott, ich!« Pe­ter zog die Au­gen­brau­en über den klei­nen lit­hau­er Au­gen em­por: »Heu­te bin ich da­bei ge­we­sen. So ’n mal. Sonst, der Beck­mann geht nich’ –«

»– So – der Beck­mann ist dein Die­ne­r­ide­al? – Gott! Mit dem dum­men Ge­sicht!«

Als Pe­ter sei­nem Herrn das Bein­kleid reich­te, nahm er ein an­de­res The­ma auf: »Schön is hier! Das Haus, der Gar­ten. Al­les ge­hört uns!«

»Ja«, mein­te Gün­ther und hielt im An­klei­den inne, um sei­ne Be­mer­kung Pe­ter ein­dring­lich mit­zu­tei­len: »Wie die­ser An­zug. Al­les weich – lose. Nicht? Und die Uni­form war steif – und eng. Nun also. Wenn man den Dienst auf­gibt und nach Kal­tin zieht, dann zieht man eben die Uni­form aus und dies hier an!«

Pe­ter war vol­ler Be­wun­de­rung: »Wie spit­zig der Herr Graf das sa­gen! Ja, so ’n Kopf, wie un­ser Graf! Aber so stramm war un­ser Dienst nicht.«

»Ach was, Dienst! Das Le­ben, ver­stehst du? Die Zeit ver­geht und noch zu we­nig, zu we­nig …«

»Wei­ber«, half Pe­ter ein.

»Ja, auch das. Das ist vor­über. Hier ist Ruhe.«

»Gott sei Dank«, schloss Pe­ter die Un­ter­hal­tung.

Gün­ther war fer­tig und stell­te sich vor den Spie­gel. Er sah gut aus, er konn­te zu­frie­den sein: die mat­te Ge­sichts­far­be, das schwar­ze Haar sei­ner ita­lie­ni­schen Mut­ter, die brau­nen, blan­ken Frau­en­au­gen mit den lan­gen Wim­pern, die Lip­pen so rot wie bei Kna­ben, in de­nen die Ju­gend noch wie ein Fie­ber brennt.

»Heu­te wie­der wun­der­bar«, mein­te Pe­ter.

 

»Sie hat auf mich ge­war­tet«, dach­te Gün­ther, als er in den Gar­ten­saal trat und die zwei Ge­de­cke auf dem Früh­stücks­ti­sche sah. Eine be­hag­li­che Rüh­rung er­griff ihn bei die­sem An­blick: »An­ge­nehm ist das – wie – wie – rei­ne Wä­sche nach der Rei­se!«

Er trat auf die Ve­ran­da hin­aus und blick­te über die Kies­we­ge und Blu­men­bee­te hin. Die hei­ße Luft zit­ter­te und flim­mer­te. Der Buchs­baum glänz­te wie grü­nes Le­der. Hin­ter dem Gar­ten dehn­te sich Wie­sen­land aus, dann nied­ri­ge Hü­gel, an de­nen die Äcker wie re­gel­mä­ßi­ge Sei­den­strei­fen nie­der­hin­gen. Un­ten, von der Buchs­baum­he­cke sah Gün­ther sei­ne Frau auf das Haus zu­lau­fen. Die eine Hand hielt die Schlep­pe des wei­ßen Klei­des, die an­de­re einen bun­ten Strauß Erb­sen­blü­ten. Ein we­nig atem­los blieb Bea­te vor Gün­ther ste­hen und lä­chel­te. Die Ge­stalt schwank­te leicht, wie zu bieg­sam.

»Riech mal«, sag­te sie und hielt ihm den Strauß hin. »Das riecht wie Som­mer­fe­ri­en, nicht?«

»Du kannst ja lau­fen wie ein Jöhr«, mein­te Gün­ther.

»Ja, ja!« Bea­te lach­te: »Hier ist man wie­der jung; weil al­les um­her so schön alt ist, so alt wie – wie Kin­der­frau­en.«

Sie gin­gen in den Gar­ten­saal. Gün­ther streck­te sich in ei­nem Ses­sel aus und ließ sich Tee ein­schen­ken.

»Ge­wiss! Gut ist’s hier«, be­gann er, die Wor­te lang­sam vor sich hin­schnar­rend. »Wie’s so aus­sieht, müss­te der schon ein um­ge­wand­ter Mon­sieur sein, der hier nicht auf sei­ne Rech­nung kommt, wie, Bea­ting?«

Bea­te schlug die Au­gen zu ihm auf, für das schma­le, wei­ße Ge­sicht sehr große Au­gen, durch­sich­tig und grau­blau, mit ein we­nig feuch­tem Gol­de auf dem Grun­de. Eine freund­li­che, ru­hi­ge Iro­nie lag in ih­rem Blick. Das mach­te Gün­ther be­fan­gen. Er be­gann im Zim­mer auf und ab zu ge­hen und an­ge­regt zu spre­chen: »So wie hier, das lie­b’ ich; ru­hi­ge, kö­nig­lich preu­ßi­sche Schön­heit. Die ewi­gen Groß­ar­tig­kei­ten fal­len mir auf die Ner­ven. Na – ja du – du bist an­ders. Sor­rent – Lu­zern – das ist dir wie dein De­pu­tat.«

»Ja, Kal­tin ist gut«, mein­te Bea­te.

»Hier lässt man sich also nie­der«, setz­te Gün­ther sei­ne Be­trach­tung fort. »Das ist das De­fi­ni­ti­ve – Ruhe – Ab­schluss.«

Bea­te zog die Au­gen­brau­en em­por.

»Wo­mit schließt du denn ab? Jetzt fäng­t’s doch ge­ra­de an – un­ser Le­ben.«

»Für euch Frau­en«, do­zier­te Gün­ther mit klin­gen­der Stim­me, »für euch ist die Ehe ein An­fang –der An­fang. Für uns Män­ner ist die Ehe auch ein Ende. Das Frü­he­re ist zu Ende – aus; ver­stehst du? – Frau­en un­se­rer Ge­sell­schaft ha­ben kein Frü­her. Sie ha­ben Gou­ver­nan­ten, aber kei­ne Ver­gan­gen­heit ge­habt.«

»Die­ses ›Frü­her‹ klingt ziem­lich un­sym­pa­thisch«, warf Bea­te ein we­nig ge­reizt ein.

Gün­ther lach­te: »Ja, das könnt ihr nun mal nicht än­dern. Ihr Ehe­frau­en seid im­mer ’ne Art Ha­fen. Du, Bea­ting, bist ein hüb­scher, glat­ter, tiefer Ha­fen, gut aus­ge­bag­gert, man sieht bis auf den Grund.«

Bea­te schau­te in der still­ver­schlos­se­nen Art vor sich hin, die sie an­zu­neh­men pfleg­te, wenn sie et­was gleich­sam nicht zu sich her­ein­las­sen woll­te, es ihr zu­wi­der war. Gün­ther sprach schon von an­de­rem: »Müs­sen wir nicht zu un­se­ren al­ten Da­men hin­über?«

»Ja, wenn du willst.«

»Sag, ist’s dort noch so – so – düs­ter?«

»Düs­ter – dort?«

»Na ja, für dich – na­tür­lich – da sin­d’s die Kin­der­zim­mer und so. Die Zim­mer sin­d’s auch nicht. Ich glau­be, es ist die Tan­te Se­neï­de.«

»Tan­te?« rief Bea­te. »Aber Tan­te Se­neï­de ist doch wie – wie Mond­schein im Ah­nen­saal.«

»So! Ist das nicht un­heim­lich, wenn man so ist?«

»Ach nein!« er­klär­te Bea­te. »Weißt du, wenn der Mond durch die obe­ren Fens­ter des Ah­nen­saals scheint, dann ist der Fuß­bo­den ganz voll von Licht­krin­gel. Als Kin­der setz­ten Ma­rei­le und ich uns da mit­ten hin­ein. Tan­te Se­neï­de ging im Saa­le auf und ab und sag­te ihre geist­li­chen Lie­der her. Das war so echt Kal­tinsch und das ge­hört Tan­te.«

»So«, mein­te Gün­ther, »als Kna­be habe ich mich ge­fürch­tet, wenn die Leu­te von der kran­ken Kom­tes­se...