Erstes Buch
Kap. I. (§ 1.) Ich wusste wohl, meinBrutus, dass, als ich das, was die geistreichsten und gelehrtesten Philosophen in griechischer Sprache behandelt hatten, in lateinischer wiedergab, meine Arbeit mancherlei Tadel finden würde. Denn manchen und nicht gerade ungelehrten Männern gefällt das Philosophieren überhaupt nicht; andere wollen eine mäßige Tätigkeit hier wohl gestatten, aber meinen, dass man nicht so großen Fleiß und so viele Mühe darauf verwenden dürfe. Auch gibt es Männer, die, mit den Schriften der Griechen vertraut, die lateinischen verachten und sagen, dass sie ihre Mühe lieber auf jene verwenden mögen. Endlich werden auch Einige mich vermutlich an andere Wissenschaften verweisen, weil diese Art von Schriftstellerei, trotz des Scharfsinns, doch nach ihrer Meinung meiner Person und Würde nicht gezieme.
(§ 2.) Gegen alle Diese möchte ich hier Einiges sagen. Den Tadlern der Philosophie habe ich zwar schon hinlänglich in jener Schrift geantwortet, worin ich die von Hortensius angeklagte und getadelte Philosophie verteidigt und gelobt habe, und da diese Schrift sowohl von Dir wie von Allen, denen ich ein Urteil zutraue, gebilligt worden ist, so bin ich in diesen Arbeiten fortgefahren, damit es nicht scheine, als könnte ich das Interesse für diese Wissenschaft wohl erwecken, aber nicht dauernd erhalten. Wenn dagegen Manche, die dem wohl beistimmen, doch nur eine mäßigere Tätigkeit hier gestatten wollen, so fordern sie eine Mäßigung bei einem Gegenstande, wo sie schwer einzuhalten ist, und der, einmal aufgenommen, sich nicht in Schranken halten oder wieder bei Seite legen lässt. Vielmehr möchte ich dann eher Jenen beitreten, welche die Philosophie überhaupt nicht zulassen wollen, als Diesen, die eine Schranke für einen Gegenstand ziehen, der unerschöpflich ist und umso besser wird, je grösser er wird.
(§ 3.) Denn wenn man die Weisheit wirklich erreichen kann, so muss man sie nicht bloß erwerben, sondern auch genießen, und wenn ihre Erwerbung schwerfällt, so darf man doch der Erforschung der Wahrheit, bevor man sie erreicht hat, keine Schranke ziehen; auch bleibt die Ermüdung im Suchen da tadelnswert, wo der gesuchte Gegenstand der schönste ist. Wenn ich aber an meiner Arbeit mich ergötze, so kann doch nur der Neid mich davon abziehen wollen, und wenn ich mich dabei anstrenge, so darf doch ein Dritter fremdem Fleiße keine Grenze ziehen wollen. Wie der gutmütige Chremes bei Terenz nicht will, dass sein neuer Nachbar »grabe oder pflüge oder sonst so etwas tue« (womit er ihn nicht von der Arbeit, sondern nur von der gemeinen Körperarbeit abhalten will), so machen sich Manche übertriebene Sorge, wenn sie an einer Arbeit Anstoß nehmen, welche mir keineswegs unangenehm ist.
Kap. II. (§ 4.) Schwerer sind Die zufrieden zu stellen, welche die lateinischen Bücher verächtlich von sich weisen; nur wundert es mich bei diesen vor Allem, dass sie in den wichtigsten Dingen an ihrer Muttersprache keine Freude finden und doch die kleinen aus dem Griechischen wörtlich in das Lateinische übersetzten Geschichtchen nicht ungern lesen. Wer könnte wohl Allem, was den römischen Namen trägt, so feind sein, dass er desEnnius Medea und desPacuvius Antiopa geringschätzte und z