1. Kapitel
Cassidy
»Kennst du überhaupt irgendjemanden, der dabei ist, Ty?«
»Nur Gage. Aber das ist gut, so lernen wir gleich neue Leute kennen.«
Ich grummelte vor mich hin. Ich war nicht gut darin, neue Freunde zu finden. Die meisten verstanden nicht, warum ich immer in Tylers Nähe sein musste, und wenn ich mit blauen Flecken oder genähten Wunden auftauchte, nahmen alle sofort an, dass ich mich entweder selbst verletzte oder dass Tyler mich misshandelte. Natürlich war das nicht ihre Schuld – wir gingen nie darauf ein, sodass die Gerüchte sich rasend schnell verbreiteten.
»Cassi, niemand wird etwas von deiner Vergangenheit wissen, deine letzten blauen Flecke sind in ein paar Wochen abgeklungen, und du bist jetzt da raus. Außerdem gefällt es mir nicht, dass du niemanden sonst hast. Glaub mir, ich verstehe es, aber es gefällt mir nicht, um deinetwillen. Du brauchst mehr Menschen in deinem Leben.«
»Ich weiß.« Instinktiv schlang ich die Arme um mich und verdeckte einige der Stellen, wo sich die blauen Flecke befanden. Gott sei Dank waren gerade keine sichtbar, wenn ich mich nicht bis auf die Unterwäsche auszog, aber von meinen Narben konnte man nicht das Gleiche behaupten. Wenigstens waren Narben bei Menschen etwas Normales, und die schlimmsten von ihnen lagen unter meiner Kleidung verborgen, also wirkte es nur so, als würde ich zu Unfällen neigen.
»Hey.« Tyler nahm eine meiner Hände und zog sie von meiner Seite. »Es ist vorbei, es wird nie wieder passieren. Und ich bin immer für dich da, ob du neue Freunde findest oder nicht. Ich bin da. Aber versuch es wenigstens. Das ist deine Chance, ein neues Leben anzufangen – steht dafür nicht auch dieser Lieblingsvogel von dir?«
»Der Phönix ist kein echter Vogel, Ty.«
»Ist doch egal, er ist dein Lieblingstier. Und steht er nicht dafür? Neuanfänge?«
»Wiedergeburt und Erneuerung«, murmelte ich.
»Ja, ist doch das Gleiche. Sie sterben, nur um wiederzukommen und ein neues Leben anzufangen, oder nicht? Und jetzt fangen wir ein neues Leben an, Cass.« Er schüttelte leicht den Kopf, und sein Gesichtsausdruck wurde vollkommen ernst. »Aber nicht, dass du mir spontan Feuer fängst und stirbst. Ich liebe dich zu sehr, und Feuer wäre auch nicht gut für die Ledersitze.«
Ich lachte schnaufend und stieß ihn mit der freien Hand gegen die Schulter. »Du bist so ein Mistkerl, Ty. Schön, wie du den liebevollen Augenblick, den wir da hatten, kaputt machst.«
Er lachte laut. »Aber im Ernst …« Er küsste mich auf die Hand, sah mir dann in die Augen und hielt meinen Blick ein paar Sekunden fest, ehe er wieder auf die Straße sah, »… ein neues Leben, Cassi, und das fängt jetzt gerade an.«
Tyler und ich hatten keine romantische Beziehung, aber wir hatten eine Beziehung, die selbst Menschen, mit denen wir groß geworden waren, nicht verstanden.
Wir waren nur ein Haus voneinander getrennt aufgewachsen, in einer Country-Club-Nachbarschaft. Unsere Väter waren beide Ärzte, unsere Mütter gehörten zu der Art Frauen, die zu Hause bei den Kindern bleibt und die Nachmittage damit verbringt, im Club z