1. Kapitel
Ich bin kein sentimentaler Typ. Früher habe ich immer wieder mal den Muttertag vergessen und einmal, als ich noch mit Hannah zusammen gewesen war, sogar den Valentinstag. Glücklicherweise hatte sie mir mein Versäumnis nicht allzu übel genommen und auch nicht daraus abgeleitet, wie viel oder wenig ich für sie empfand. Auch was Jahrestage und Geburtstage angeht, bin ich ein hoffnungsloser Fall. Vermutlich würde ich sogar Weihnachten vergessen, wenn da nicht der allgemeine Trubel wäre. Nein, ich bin keineswegs egozentrisch … Nun ja, vielleicht doch, aber sind wir das nicht alle irgendwie?
In meinen Augen ist es lächerlich, Menschen mit Aufmerksamkeit zu überhäufen, nur weil sie Geburtstag haben oder im Kalender irgendein Feiertag steht, den sich irgendwann mal irgendwer ausgedacht hat. Wenn man jemanden liebt, muss man ihm diese Liebe jeden Tag zeigen. Warum soll man auf einen bestimmten Termin warten, um seiner Frau Blumen zu schenken? Taten sagen viel mehr als Worte, vor allem wenn es Taten der Liebe sind – Dinge, die man ohne besonderen Grund tut, einfach nur, weil man es will. Weil es einem wichtig ist. Weil der betreffende Mensch einem wichtig ist.
Das hat Hannah mich gelehrt. Hannah. An einem achten Mai habe ich sie verloren, meine schöne, gerade mal achtunddreißig Jahre alte Frau. Auch ein ganzes Jahr nach ihrem Tod konnte ich nicht an sie denken, ohne von tiefem Schmerz überfallen zu werden.
Ein Jahr. Dreihundertfünfundsechzig einsame Tage und leere Nächte.
Ein paar Tage nach ihrem Tod hatte ich an ihrem ausgehobenen Grab gestanden und zugesehen, wie ihr Sarg hinabgelassen wurde. Ich hatte die erste Schaufel voll Erde hinterhergeworfen. Das Geräusch werde ich nie vergessen, diesen hohlen Klang, als die Erde auf das glänzende Holz des Sarges prallte.
Auch ein Jahr später noch verging keine Stunde, in der ich mich nicht an Hannah erinnerte. Und das war schon ein bedeutender Fortschritt, denn in den ersten Monaten nach ihrem Tod war es mir nicht gelungen, sie länger als eine Minute aus meinen Gedanken zu verbannen. Alles, was ich sah oder hörte, erinnerte mich an Hannah.
Zu sagen, ich hätte sie geliebt, reicht nicht, um meine Gefühle für sie auszudrücken. Sie hat mich in jeder Hinsicht vollständig gemacht. Ohne sie war meine Welt trist und öde, grau in grau. Es gibt Tausende von passenden Attributen, und sie könnten trotzdem nicht einmal annähernd beschreiben, wie leer ich mich fühlte, seit sie nicht mehr bei mir war.
Ständig redete ich mit ihr. Wahrscheinlich sollte ich das niemandem erzählen, aber seitdem sie mich ein letztes Mal angelächelt hatte, bevor sie endgültig die Augen schloss, hatten wir ein einseitiges Gespräch miteinander geführt.
Und nun saß ich hier, ein Jahr später, und tat so, als hätte ich Spaß an einem Baseballspiel der Seattle Mariners, während ich in Wirklichkeit nur an meine Frau denken konnte. An meine Frau, die seit einem Jahr tot war.
Ritchie, Hannahs Bruder und mein bester Freund, hatte mich zu dem Spiel eingeladen und mir di