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KING SAUL BOULEVARD, TEL AVIV
Für etwas noch nie Dagewesenes, das mit solchen institutionellen Risiken behaftet war, ging alles ohne viel Aufhebens über die Bühne. Und nahezu geräuschlos. Das war das Bemerkenswerte daran: die operative Stille, in der alles stattfand. Gewiss, es hatte eine dramatische Ankündigung gegeben, die das Fernsehen live übertragen hatte, eine Aufsehen erregende erste Kabinettssitzung und eine opulente Party in Ari Schamrons Villa am See Genezareth, zu der alle Freunde und Mitstreiter aus seiner bewegten Vergangenheit gekommen waren – Geheimdienstchefs, Politiker, ein Monsignore aus dem Vatikan, ein Londoner Galerist und sogar ein unverbesserlicher Kunstdieb aus Paris –, um ihm alles Gute zu wünschen. Aber ansonsten verlief alles erstaunlich glatt. An einem Tag saß Uzi Navot im Büro des Direktors an seinem riesigen Schreibtisch aus Rauchglas, und am Tag darauf hatte Gabriel Allon seinen Platz eingenommen. Verschwunden war jedoch auch Navots moderner Schreibtisch, denn Glas war nicht Gabriels Stil.
Holz gefiel ihm besser. Liebevoll poliertes, altes Holz. Und natürlich Gemälde: Er merkte sehr bald, dass er nicht zehn, zwölf Stunden pro Tag in einem Raum ohne Gemälde zubringen konnte. Außer zwei unsignierten eigenen Bildern hängte er mehrere Werke seiner Mutter auf, die zu ihrer Zeit eine der prominentesten Künstlerinnen Israels gewesen war. Dazu kam ein großes abstraktes Gemälde seiner ersten Frau Leah, das sie während ihrer gemeinsamen Studienzeit an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem gemalt hatte. Am späten Nachmittag konnten Besucher des obersten Stockwerks Opernklänge hören – PuccinisLa Bohème war ein besonderer Favorit –, die unter seiner Tür hervordrangen. Diese Musik konnte nur eines bedeuten: Gabriel Allon, der Fürst des Feuers, der Racheengel, Ari Schamrons Ziehsohn, hatte endlich seinen rechtmäßigen Platz als Direktor des israelischen Geheimdiensts eingenommen.
Aber sein Vorgänger blieb in der Nähe. Tatsächlich bezog Uzi Navot das auf dem Flur gegenüberliegende Büro, das einst Schamrons geschützter kleiner Schlupfwinkel gewesen war. Bisher war noch kein verabschiedeter Direktor unter demselben Dach wie sein Nachfolger geblieben. Die neue Regelung verstieß gegen einen der heiligsten Grundsätze des Diensts, der alle paar Jahre einen Neuanfang forderte. Natürlich gab es ehemalige Direktoren, die nicht loslassen konnten. Sie kreuzten gelegentlich am King Saul Boulevard auf, erzählten Geschichten aus dem Krieg, erteilten unerbetene Ratschläge und waren allgemein lästig. Und dann gab es natürlich Schamron, den Unzerstörbaren, den brennenden Busch. Schamron hatte den Dienst von Anfang an nach eigenen Vorstellungen aufgebaut. Er hatte ihm seine Identität, sogar seine eigene Sprache gegeben und hielt es für sein angestammtes Recht, sich dort einzumischen, wie’s ihm passte. Es war Schamron gewesen, der Navot zum Direktor gemacht hatte, und der »Alte« hatte ihm den Posten wieder weggenommen, als seine Zeit um war.
Aber es war Gabriel, der darauf bestand, dass Navot mit allen Privilegien seiner bisherigen Stellung blieb. Sie teilten sich eine Sekretärin – die energische Orit, am King Saul Boulevard wegen ihrer Fähigkeit, unerwünschte Besucher abzuwimmeln, als Eiserne Lady bekannt –, und Navot behielt seinen Dienstwagen und so viele Personenschützer wie bisher, was zu leisem Protest in der Knesset führte, aber als friedenstiftende Maßnahme unerlässlich war. Sein genauer Titel war ziemlich vage, was jedoch für den Dienst typisch war. Schließlich waren seine Mitarbeiter von Beruf Lügner, die nur untereinander die Wahrheit sprachen. Allen anderen gegenüber – ihren Frauen, ihren Kindern, den Bürgern, die zu beschützen sie geschworen hatten – tarnten sie sich sorgfältig.
Standen ihre Bürotüren offen,