1 Ein märchenhafter Aufstieg: Von Bayern nach Paris
Eine Frau aus gutem Hause: Die Wittelsbacher
Die Chronisten beschreiben Isabeau kurz nach ihrer Ankunft in Frankreich als strahlenden Mittelpunkt der Hofgesellschaft, als charmante, junge Frau von wohlerzogener, ansprechender Jugend, frisch, gutherzig, süß, hübsch gekleidet, gefällig anzusehen, ein kleiner Mund, der wohlgesetzt redet, geschickt im Tanzen und Singen. »Nie sah man von einem zarten Körper solche Macht ausgehen, noch von einem Jugendlichen solche Weisheit wie bei ihr«, wie es der Dichter Othon de Grandson ausdrückte. Auch wenn solche Beschreibungen den zeittypischen Überhöhungen entsprachen, lässt sich aus ihnen ablesen, dass Isabeau die Rolle, die ihr die höfische Gesellschaft als Ehefrau des Königs und erster Dame des Reiches zuwies, in vollem Umfang und zur Befriedigung ihrer Umgebung erfüllte. Als »großmächtige und großgütige Fürstin«, »voll der Ehren und Weisheit«, als die sie die Dichterin Christine de Pisan rühmte, erfüllte sie alle Erwartungen, die man an die »vorbildlichste Dame des Königreiches« stellte. Das war nicht unbedingt selbstverständlich angesichts der Tatsache, dass Isabeau als blutjunges Mädchen von 15 Jahren ohne Französischkenntnisse und weitgehend ohne heimischen Anhang einigermaßen überstürzt nach Frankreich gekommen war.
Als Angehörige des Hauses Wittelsbach gehörte sie zwar einer der angesehensten Familien des Heiligen Römischen Reiches an, die mit Ludwig dem Bayern zwischen 1314 und 1347 und mit Ruprecht von der Pfalz von 1400 bis 1410 eigene Kandidaten auf den römisch-deutschen Königsthron brachten, doch eine Einheirat an den französischen Königshof war dennoch kein »Selbstläufer«. Neben der Wittelsbacherin gab es weitere Bewerberinnen. Zeitgenössische Chronisten berichten, dass Maler im Auftrag des französischen Hofes nicht nur nach Bayern, sondern auch nach Lothringen und Österreich ausschwärmten, um Portraits von Heiratskandidatinnen aufzunehmen. Außerdem waren Bewerberinnen aus Schottland, Kastilien und Lancaster im Gespräch. Dass der französische Hof sehr wählerisch bei der Auswahl der künftigen Königin war, ließ sich auch an dem Verfahren ablesen, gemäß dem die potentielle Braut vor der Eheschließung von älteren Hofdamen auf ihre Gebärfähigkeit hin überprüft wurde – für Herzog Stephan III. von Bayern-Ingolstadt, den Vater Isabeaus, ein einziges Grauen! Er fürchtete die Schande einer Ablehnung. Da er überdies seit dem frühen Tod seiner Frau ein sehr inniges Verhältnis zu seinem jugendlichen Töchterchen pflegte, wollte er sie am liebsten in seiner Nähe verheiratet sehen. Einer ersten Anfrage 1383 erteilte er daher eine Absage.
Abb. 1:
Der Stammsitz der Wittelsbacher befand sich einst in Oberwittelsbach in der Nähe von Aichach. An Stelle der Burg steht heute die Kirche Maria vom Siege.
Die Eltern Isabeaus
Aus den Kindertagen Isabeaus ist wenig bekannt. Ihren Vater, Herzog Stephan III., nannte man wegen seiner aufwändigen Hofhaltung »den Kneißel«, was so viel wie »der Prächtige« oder »der Prachtliebende« heißt. Er war der älteste Sohn Herzog Stephans II, genannt »mit der Hafte«.
Eine Dynastie mit vielen Zweigen: Die bayerischen Teilherzogtümer
Die über 700 Jahre andauernde Herrschaft der Wittelsbacher über Bayern begann im Jahr 1180, als Kaiser Friedrich Barbarossa seinen treuen Parteigänger Otto I. von Wittelsbach mit dem Herzogtum Bayern belehnte. Geschickte Heiraten, glückliche Erbg