: Jürgen Mette
: Espenlaub Roman.
: Gerth Medien
: 9783961222698
: 1
: CHF 10.10
:
: Erzählende Literatur
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Bergbauer Toni Hinteregger wächst als Waisenkind in den Südtiroler Bergen auf. Mit 18 Jahren lernt er Evi Stockner kennen, die Liebe seines Lebens. Als diese von ihren Eltern zum Medizinstudium nach England geschickt wird, bricht Tonis Welt zusammen. Zudem muss er mit einer schockierenden Diagnose fertigwerden: Parkinson. Für beide beginnt ein dramatischer Kampf zwischen Hoffnung und Resignation, um Liebe und Treue, um Berufung und Erfüllung.

Jürgen Mette (*1952) ist Theologe und war bis 2013 geschäftsführender Vorsitzender der Stiftung Marburger Medien und Lehrbeauftragter an der Evangelischen Hochschule Tabor. Er ist verheiratet, Vater von drei Söhnen und Großvater von sechs Enkelkindern. Seit ihn 2009 die Diagnose Parkinson getroffen hat, schreibt er Bücher, u. a. den Spiegel-Bestseller 'Alles außer Mikado', und ist als Referent unterwegs.

Abgrund

Wieder einmal war es Herbst geworden, hoch droben auf der Alm, oberhalb des Pustertaler Bergdörfchens Terenten. Es roch modrig und erdig, als Vorspiel zum nahenden Sterben der Vegetation. Alles musste bald in den frostigen Tod des Winters sinken, um später wieder zum Leben zu erwachen. Doch zunächst zeigten die Bäume unterhalb der Almhütte noch ihr buntes Blätterkleid in leuchtenden Herbsttönen. In der Frühe des Tages glitzerten die Tautropfen, verwoben von Milliarden feinster Spinnfäden, die in den Strahlen der Morgensonne funkelten.

Viele Jahre verbrachte er nun schon den Sommer hier oben. Jahr für Jahr hinauf und wieder hinunter. Leben im Winterquartier, Leben im Sommerquartier. Und immer ein Leben für die Kühe. Auf 1732 Metern Höhe. Fern von Menschen, Geschäften und Fabriken. Das moderne Leben spielte im Tal.

Hier oben diktierte der Rhythmus der Kühe den Alltag des Menschen. Denn der Kuhhirt überwacht und begleitet das Leben einer Kuhherde. Einer der ältesten Berufe überhaupt macht aus einst wilden Tieren zahme Haustiere, die ihrem Besitzer Milch, Leder und Fleisch liefern. An diesem Lieferanten hing die Versorgung der Großfamilie und der wirtschaftliche Ertrag des Hofes. Darum war ihm die Betreuung der Herde zu einer Berufung geworden.

Zum Dank dafür streckten ihm die gutmütigen Vierbeiner das meistens verkleckerte und verkrustete Hinterteil hin. Die Kuh frisst immer, verdaut ausgiebig rauf und runter und übersät alles mit ihren spinatartigen Hinterlassenschaften. „Eine vegetarisch angetriebene Milch- und Fleischproduktion auf vier Beinen, mit zwei Haltegriffen vorne am Kopf!“, so hat es einmal ein Lehrer der Fachschule für Almwirtschaft formuliert. Im Flachland kann man sie fast sich selbst überlassen, die Schwarz-Bunten, auch Holsteiner genannt. In den Bergen brauchen sie hingegen besondere Betreuung, die Rot-Bunten, auch Fleckvieh oder Braunvieh genannt.

Die Kuh will geführt und vor den Abgründen bewahrt werden. Dazu braucht sie einen Menschen, und zwar einen geduldigen. Keinen überdrehten Hektiker, sondern einen gemütlichen und seelenruhigen Hirten, der vorangeht. Einen wie Anton Hinteregger.

Ein Leben für die Kühe am Abgrund, immer mit dem Wetter, den Pflanzen und Tieren im Einklang: Das Hirtenleben hat etwas Archaisches, es ist eine Berufung jenseits aller technischen Errungenschaften. Kein Wunder, dass diese seit Jahrtausenden existierende Beschäftigung das wohl bekannteste biblische Sinnbild für Vertrauen hervorgebracht hat: „Meine Schafe hören meine Stimme und sie folgen mir