Vor etwa zehn Jahren
An der Grenze zwischen Nordkorea und China
„Hallo?“ Esthers Stimme am Telefon klang unsicher. Sie hatte die Nummer erkannt, aber trotzdem konnte sie nie wissen, wer am anderen Ende der Leitung war. Sie gab sich immer ein wenig verwirrt, bis sie sicher war, dass der Anruf nicht von der Polizei kam.
„Esther“, sagte eine verzweifelte Stimme. „Ich brauche Hilfe. Ich bin angeschossen.“
Dann war die Leitung tot.
Esther erkannte die Stimme sofort. Es war Peter. Sie hatte den Mann aus Nordkorea seit über zwei Jahren im Glauben begleitet. Esther presste den Hörer noch eine halbe Minute lang ans Ohr für den Fall, dass die Verbindung wiederhergestellt wurde. Aber sie hörte nichts mehr.
Peter war einer von vielen Nordkoreanern, die illegal durch einen der beiden Flüsse Tumen oder Yalu nach China gingen, um Lebensmittel zu kaufen oder Geld zu verdienen, damit ihre Familien etwas zu essen hatten. Die Grenzflüsse sind an beiden Ufern streng bewacht und die Wachen schießen meist sofort, ohne sich erst mit Fragen aufzuhalten.
Um ungesehen über den Fluss zu kommen, lag Peter meist den Tag über so still wie möglich in einem Feld am Fluss. Er bewegte sich nur zentimeterweise vorwärts, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Im Dunkel der Nacht, wenn man ihn am wenigsten ausmachen konnte, ging es dann rascher durch das Gebüsch bis zum Ufer. Dort angekommen zog er die Kleider aus, glitt in der Dunkelheit langsam in das eisige Wasser und ans andere Ufer, die Kleidung hoch über dem Kopf haltend, damit sie nicht nass wurde. Er wusste: Es war gefährlich. Aber er wusste auch: Wenn er diesen Weg nach China nicht immer wieder auf sich nahm, würden er und seine Familie verhungern.
So oder so riskierte er sein Leben.
In dieser Nacht verlief alles wie geplant. Auf der chinesischen Seite angekommen, wollte Peter den einzigen Menschen anrufen, von dem er wusste, dass er ihm helfen konnte – Esther. Sie war die Erste, die ihm von Jesus erzählt hatte, und durch sie hatte er zum rettenden Glauben gefunden. Über etliche Monate hatte sie ihn bei sich zu Hause unterrichtet. Sie hatte ihm auch Geld, Lebensmittel, Kleidung, Decken, ein Mobiltelefon, Hörbibeln und einen Videorekorder mit dem Jesusfilm gegeben – Dinge, die er in seinem Dorf weiterverteilen sollte. Einmal hatte Esther sogar drei ehemalige amerikanische Soldaten engagiert, um ihn nach Nordkorea zurückzuschmuggeln. Aber als alle Hörbibeln an seine Nachbarn verteilt und Lebensmittel und Geld verbraucht waren, musste Peter wieder über die Grenze nach China.
Er wollte gerade an Land gehen, als eine Wache ihn im Dunkeln anrief. Weil das Wasser die Stimme wie ein Echo zurückwarf, ko