Christian Nürnberger
NELSON MANDELA
Ein Kampf für das Recht auf Leben
Mit der Freiheit verhält es sich ähnlich wie mit dem Humor. Jeder behauptet, er habe ihn, nur wenige haben ihn wirklich. Jeder behauptet, er sei für Freiheit, sogar die Unterdrücker behaupten es. Aber nur wenige sind wirklich frei. Und nur wenige haben ein so großes Verlangen nach Freiheit, dass sie dafür unter Einsatz ihres Lebens kämpfen, ihre Gesundheit gefährden, gefürchteten Autoritäten widersprechen, Zivilcourage zeigen oder Nachteile – bei der Karriere, der Versorgung mit Gütern, dem Zugang zur Bildung – in Kauf nehmen.
Freiheit hat etwas mit Würde zu tun, mit Charakter, mit aufrechtem Gang. Wer schon von Kindheit an zur gebeugten Haltung erzogen wurde, zum Gehorsam, Duckmäusertum und zur Angst vor jeglicher Macht und Autorität, wem von Kindheit an von Eltern, Lehrern, Funktionären, Geistlichen und den Medien eingebläut, ja eingeprügelt wurde, die Teilung der Menschen in Herren und Knechte sei gut, vernünftig, gottgewollt und unveränderlich, der wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in sein Schicksal fügen und sein Leben als Knecht führen und beenden. Warum sollte er aufbegehren? Was sollte einer, der die Freiheit nie gelernt und nie geschmeckt hat, mit der Freiheit anfangen?
Und doch gibt es unter hundert Knechten, manchmal auch nur unter tausend oder zehntausend, zuverlässig den einen, der irgendwann anfängt zu fragen, ob die Herr-Knecht-Ordnung so natürlich oder gar gottgewollt sei, wie sie sich darstellt. Zuerst fragt er sich das meist nur im Geheimen, in seinen Gedanken, dann spricht er die Frage im Kreis von Freunden oder der Familie aus und macht die Erfahrung: Er ist mit seinen Gedanken nicht allein. Andere zweifeln ebenfalls. Meistens bleibt es dabei.
Manchmal aber entwickelt sich daraus Rebellion. Und manchmal entsteht daraus eine Revolution, welche die alte Ordnung umstürzt und eine neue, gerechtere Ordnung etabliert. Dann erklimmt die Gesellschaft, in der das passiert, eine höhere Stufe der Zivilisation.
Wann aber und unter welchen Bedingungen kommt es dazu, dass aus freien Gedanken freie Worte und daraus Taten werden, die in gemeinsame und organisierte Handlungen münden? Und die dann den Umsturz herbeiführen? Das herauszufinden wäre ein interessantes Forschungsprojekt, denn es gibt darauf noch keine allgemeingültige Antwort. Vielleicht wird es sie auch nie geben, denn die Entfaltung freier Gedanken in einem geknechteten Hirn ist etwas sehr Individuelles, wahrscheinlich oft von äußeren Zufällen Gesteuertes, sodass ein Freiheitskämpfer rückblickend beispielsweise sagt:
»Ich kann nicht genau angeben, wann ich politisiert wurde, wann ich wusste, dass ich mein Leben völlig dem Freiheitskampf verschreiben würde (…) Ich hatte keine Erleuchtung, keine einzigartige Offenbarung, keinen Augenblick der Wahrheit; es war eine ständige Anhäufung von tausend verschiedenen Dingen, tausend Kränkungen, tausend unerinnerten Momenten, die Wut in mir erzeugten, rebellische Haltung, das Verlangen, das System zu bekämpfen, das mein Volk einkerkerte. Da war kein bestimmter Tag, an dem ich mir sagte, von nun an will ich mich der Befreiung meines Volkes widmen, sondern statt dessen tat ich es einfach, weil ich nicht anders konnte.«
Der Mann, der das sagte, war einer der größten Freiheitskämpfer der Welt, ein Popstar, ein Mythos schon zu Lebzeiten, beliebt, verehrt und berühmt wie sonst vielleicht nur noch der Papst und der Dalai Lama: Nelson Mandela, der Befreier Südafrikas. Siebenundzwanzig Jahre hat er in Gefängnissen verbracht. Siebenundzwanzig Jahre hat er dort seinen Traum von der Befreiung der Schwarzen von weißer Vorherrschaft geträumt. Siebenundzwanzig Jahre hat er vom Gefängnis aus, scheinbar untätig, wesentlich zur Befreiung