„Gretl, Rudolf, wo seid ihr denn wieder?“ Die Rufe der Kinderfrau durchbrachen die mittägliche Ruhe im Wittgenstein-Palais in der Alleegasse 16. Das Jungvolk war wieder einmal wie vom Erdboden verschluckt. Wahrscheinlich hatte es sich versteckt, um sich vor dem Nachmittagsunterricht in Latein zu drücken. Da entwickelten die beiden Geschwister, die immer wie Kletten aneinanderhingen, eine innovative Energie: wickelten sich in die langen Brokatstores vor den Fenstern ein, verschwanden in den großen eichenen Schlafzimmerschränken, den schmächtigen Rudolf hatte Elis, die Kinderfrau, auch schon zusammengekrümmt im Flügel gefunden, bei geschlossenem Deckel! Die älteren Geschwister wurden ja langsam vernünftig: Hermine, die Älteste, war schon kein Kind mehr, Hans und Kurt waren beide begeisterte Musiker, das Spiel auf der Geige und auf dem Klavier trieb die Flausen aus dem Kopf, Helene war ein munteres, aber ausgeglichenes Kind – nur die jüngeren Geschwister schlugen über die Stränge. Die Allerjüngsten, Paul und Ludwig, waren noch im Kleinkindalter und hatten weniger Möglichkeiten, sich gegen das strenge Regiment der Kinderfrau zu wehren.
Die Mutter Leopoldine war offensichtlich überfordert: Die vielen Geburten hatten sie körperlich angegriffen, alles wurde ihr zu viel – außer dem Klavierspiel, zu dem sie sich viele Stunden am Tag zurückzog. Aber die Erziehung der Kinder überließ sie anderen. Sie war leicht erregbar, neigte dazu, bei Kleinigkeiten gereizt zu reagieren, obgleich sie sich immer wieder den Zwang zu freundlicher Ruhe auferlegte. Margaret urteilte im Rückblick bündig:Meine Mutter litt an einer unaufhörlichen Überlastung der Nerven […] ihr erregtes Wesen war mir unerträglich.
Die Tochter Hermine pries die ungeheure Güte und Selbstlosigkeit der Mutter, erklärte sich ihr Versagen als daseiner ausgesprochen zum Dulden geborenen Frau mit einem ausgesprochen zum energischen Handeln geb