: Elfriede Hammerl
: Alte Geschichten Erzählungen
: Verlag Kremayr& Scheriau
: 9783218011174
: 1
: CHF 8.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zwischen Melancholie, Aufbegehren und Wut: Elfriede Hammerl sucht nach den verdrängten Ängsten, Nöten und Wünschen ihrer langsam in die Jahre kommenden Figuren. Wenn die Zeit, die noch bleibt, weniger wird, kommen Abgründe zum Vorschein: Ob Beate, Carola oder Kurt - sie alle kämpfen an gegen verpasste Chancen, Rollenbilder und die Erinnerung an die Verflossenen. Im Verborgenen werden die Säbel gewetzt und auf dem Parkett der schon lang erloschenen Zuneigung wird Stellung bezogen - Mann gegen Frau, Töchter gegen Mütter, Ehefrau gegen Ex-Geliebte, Jung gegen Alt. Die Erzählungen in 'Alte Geschichten' widmen sich den unangepassten Alten, den Angepassten, die aus ihrer Rolle ausbrechen wollen, und den gerade noch Jüngeren, die sich fragen, wie sie mit dem Näherrücken des Alters umgehen sollen. Und natürlich geht es auch um die alten Geschichten, die irgendwann einmal die Soll- und Habenseite einer Lebensbilanz ausmachen. Elfriede Hammerls 'Alte Geschichten' betreiben literarische Feldforschung auf dem Territorium des Lebensabends.

Elfriede Hammerl schreibt Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Drehbücher und seit vielen Jahren eine Kolumne für 'profil'. In Deutschland wurde sie durch ihr Drehbuch für den Fernsehfilm 'Probieren Sie's mit einem Jüngeren' (Hauptrolle Senta Berger) und durch ihre Kolumnen in 'stern', 'Vogue', 'Cosmopolitan' und 'Marie Claire' bekannt. Die Autorin erhielt für ihre Arbeit zahlreiche Preise, u.a. den Publizistikpreis der Stadt Wien, den Frauenpreis der Stadt Wien, den Concordiapreis (in der Kategorie Menschenrechte), die Johanna-Dohnal- Anerkennung und den Kurt-Vorhofer-Preis.

Die Zeckenimpfung


In den vergangenen Tagen habe ich gleich zweimal Männer erblickt, die aussahen wie Bruno, große, behäbige Männer mit dunklen Haaren und einem dunklen Schnauzbart, und mit dieser heiteren, soliden, zuverlässigen Ausstrahlung, die Bruno für mich hatte. Das klingt ein wenig seltsam, denn ich kann nicht erklären, wie es kam, dass zwei wildfremde Menschen einen solchen Eindruck auf mich machten, aber es war so.

Schnauzbärte haben ja leicht etwas Lächerliches und auch an Bruno hat das dicke Büschel schwarzer Haare unter seiner Hakennase ein wenig komisch gewirkt, aber irgendwie passte es zu ihm, zu seiner liebenswerten, kauzigen Art und seinem offenkundigen Mangel an schnöselhafter Eitelkeit.

Beide Male, als die Männer, die mich an Bruno erinnerten, zufällig in mein Blickfeld gerieten, zuckte ich kurz zusammen, obwohl keiner der Männer wirklich Bruno sein konnte, denn Bruno ist tot. Ich weiß das, weil ich auf seine Todesanzeige gestoßen bin, zufällig, nachdem ich viele Jahre nichts von ihm gehört und nicht an ihn gedacht hatte. Seine Todesanzeige in der Zeitung, für die er jahrelang gearbeitet hatte, sprang mir in die Augen, und ich spürte einen sehr persönlichen Schmerz. Ich ertappte mich sogar bei dem Gedanken: Wenn damals etwas geworden wäre aus uns beiden, dann wäre ich jetzt Witwe. Dann hätte dieser Tod mein Leben gerade schlagartig verändert, ich säße nicht gelassen bei meinem Frühstückskaffee, mit heiteren (na ja, vergleichsweise heiteren) Plänen für den Abend, sondern tränenblind, betäubt vom Kummer. Und dennoch tat es mir leid, dass nichts aus uns geworden war; mit ihm gelebt zu haben, wäre wahrscheinlich schön gewesen, dachte ich mir.

Nicht, dass zwischen uns jemals etwas vorgefallen wäre, das Anlass zu solchen Fantasien geboten hätte. Bruno war ein Kollege, mehr nicht, älter als ich und ranghöher, er imponierte mir durch sein Können und durch die Gelassenheit, mit der den Überblick behielt, auch wenn wieder einmal der Hut brannte. In den Redaktionskonferenzen lobte er meine Arbeit und hörte mit offenkundigem Wohlwollen meinen Di