: Terry Eagleton
: Materialismus Die Welt erfassen und verändern
: Promedia Verlag
: 9783853718599
: 1
: CHF 14.30
:
: Philosophie
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In seinem neuesten Werk setzt sich der bekannte britische Autor und Literaturwissenschaftler Terry Eagleton mit dem Verhältnis von Philosophie und Alltagserfahrung auseinander. Er bietet eine humanistische, für das praktische Zusammenleben der Menschen taugliche Variante des Denkens. Angesichts einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich weitgehend als 'materialistisch' definieren und eines von emanzipatorischen Inhalten befreiten 'New Materialism' an den Universitäten hält Eagleton an einer 'Politik der Materie' fest, die für die Veränderung der Umstände eintritt. In einem Streifzug durch die Ideengeschichte des Materialismus, von Demokrit über Aristoteles bis hin zu Sigmund Freud, verteidigt der Autor die materialistische Gesinnung auch gegen aktuelle Trends der 'Cultural Studies' und postmoderner Strömungen. Eagleton bringt in diesem Buch drei bekannte Materialisten und ihre Lehren zusammen: Friedrich Nietzsche, Ludwig Wittgenstein und Karl Marx. In einem eindrucksvollen Vergleich ihrer Theorien spannt er einen weiten Bogen, von der Sprache über die Geschichte, von der Ideologie zur Ethik, bis hin zu ästhetischen und politischen Fragen. All dies gelingt Eagleton mit viel Witz und Polemik, in lockerer Sprache, die jahrhundertealte philosophische Diskussionen auch einem damit nicht vertrauten Publikum näherbringt. Für Eagleton ist es die 'Anti-Philosophie' und ihr bekanntester Exponent Karl Marx, die er als Ausdruck eines gelungenen materialistischen Weltbilds ansieht. Und so zitiert er in seinem Werk auch Marx' Ausspruch: 'Die Philosophie steht nicht außer der Welt, so wenig das Gehirn außer dem Menschen steht, weil es nicht im Magen liegt.' In dieser Tradition des kritischen Denkens, dem Humor nicht fremd ist, schlägt Eagleton mit 'Materialismus' ein neues Kapitel auf.

Terry Eagleton, geboren 1943 in Salford (England), lehrt englische Literatur an der Universität von Lancaster. Zuvor unterrichtete er unter anderem in Oxford, Manchester, Duke und Yale. Seine marxistisch inspirierte Philosophie und Literaturtheorie legte er in über 40 Büchern nieder, von denen viele auch im deutschsprachigen Raum zu Bestsellern wurden, darunter 'Einführung in die Literaturtheorie' (1988), 'Die Illusionen der Postmoderne' (1997), 'Der Sinn des Lebens' (2008) und 'Warum Marx recht hat' (2012).

Kapitel Eins


Materialismen


Der Materialismus ist in verschiedenen Geschmackssorten erhältlich. Es gibt hartgesottene Varianten und weichgekochte. In Anbetracht der beängstigenden Größe des Gegenstands, ganz zu schweigen von meinen eigenen intellektuellen Beschränkungen, werden jedoch nur einige der Strömungen des materialistischen Denkens in diesem Buch behandelt. Mir geht es nicht um die äußerst technischen Fragen von Monismus, Dualismus, Eliminativismus oder dem Leib-Seele-Problem im Allgemeinen. Sondern um Arten von Materialismus, die im weiteren Sinne gesellschaftlich oder politisch sind – und von denen die Neurowissenschaftler nichts Spannendes zu berichten wissen.

Wenn Sie zu jenen Materialisten zählen, die davon überzeugt sind, dass die materiellen Bedingungen in den menschlichen Beziehungen den Ton angeben, dann werden Sie vielleicht diese Bedingungen verändern wollen – in der Hoffnung, dass Sie damit die Weise ändern, in der die Leute denken und handeln. Wenn Ihr Materialismus von der deterministischen Sorte ist, der Menschen als komplett von ihrer Umwelt konditioniert ansieht, könnte dies ein vielversprechendes Projekt für Sie sein. Das Problem ist nur: Wenn Individuen nichts weiter sind als die Funktionen ihrer Umgebung, dann muss das auch auf Sie zutreffen. Und wie können Sie daraufhin diesen Kontext verändern, wenn Sie doch selbst ein Produkt davon sind? Trotz dieser verstörenden Fragen war der Materialismus traditionell (wenn auch nicht exklusiv) mit einem radikalen politischen Denken verbunden. Empirische Materialisten wie die englischen Denker des 18. Jahrhunderts David Hartley und Joseph Priestley waren überzeugt, dass der Geist aus Sinneseindrücken besteht. Sie glaubten daran, dass die Sinneseindrücke aus der Umwelt abstammen würden und dass, wenn man diese Umwelt nur so umgestalten könnte, damit sie die »richtigen« Sinnesdaten liefere, man das menschliche Verhalten dramatisch verbessern könnte.1 Politisch gesprochen war dies kein fortschrittliches Vorhaben. Wie Marx später ausführen sollte, diente die besagte Veränderung den Bedürfnissen und Interessen des Herrschers. Mit gewohntem Scharfsinn erkannte Marx die politischen Ideen, die in dieser Erkenntnistheorie steckten.

Zur Zeit des Englischen Bürgerkriegs gibt es eine Verbindung zwischen radikalem Denken und Materialismus in so manchen linken Gedankengängen, etwa in den Arbeiten von Baruch Spinoza und denphilosophes der französischen Aufklärung. Dieses Erbe ging auf Marx und Engels über und taucht in der heutigen Zeit in den Schriften von so dissidenten Theoretikern wie Gilles Deleuze auf. (Darwin, Nietzsche und Freud sind auch radikale Materialisten, aber keine Theoretiker der radikalen Linken.) Obwohl das Wort »Materialismus« im 18. Jahrhundert geprägt wurde, stammt die Lehre aus der Antike2. Einer ihrer frühesten Vertreter, der griechische Philosoph Epikur, war das Thema der Doktorarbeit von Karl Marx. Marx bewunderte Epikurs Leidenschaft für Gerechtigkeit und Freiheit, seine Abneigung gegen das Anhäufen von Reichtum, seine aufgeklärte Haltung zu Frauen und den Ernst, mit der er die sinnliche Natur der Menschheit erfasste. Für Marx waren diese Haltungen verbunden mit Epikurs philosophischen Ansichten. Materialismus bedeutete für Epikur, wie für die Aufklärung, die Befreiung von der Priesterschaft und vom Aberglauben.

Isaac Newton und seinen Kollegen galt die Materie als rohe, träge Masse (Newton nannte sie auch »dumm«), und als solche musste sie von der äußeren Macht des göttlichen Willens bewegt werden. Ein Punkt, der für den menschlichen Körper von Bedeutung ist. Denn wer den Körper als Leichnam betrachtet, verspürt wahrscheinlich den Drang, ihm irgendein geisterhaftes Wesen an die Seite zu stellen, das ihn wachrüttelt. Er wird sich kaum selbst beleben, so schwerfällig und plump, wie er gebaut ist. Deshalb sind körperlose Geister und Seelen unter anderem ein Versuch, die Unfertigkeiten des mechanischen Materialismus auszugleichen. In einer weniger mechanistischen Sicht auf die Materie wären sie überflüssig. Wenn Geist und Natur voneinander getrennte Bereiche sind, dann ist ersterer dazu in der Lage, seinen Einfluss über letztere auszuüben. Folglich regieren bei Newton die spirituellen Kräfte über die Natur wie Monarchen und Despoten über ihre Staaten.

Im Gegensatz dazu gibt es im radikalen Denken seit Spinoza keinen Bedarf an erhabenen Autoritäten. Die Materie selbst ist lebendig, und si