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»Marie, bist du fertig?«
Ungeduldig stieß Jean die Schlafzimmertür auf. Marie wandte sich brüsk vom Fenster ab und zog geschäftig die Vorhänge zu.
»Ja, ich bin fertig … es ist besser, wenn die Vorhänge zu sind, bei dieser Hitze.«
»Ich warte schon seit einer halben Stunde auf dich.«
Sie sah Jeans ärgerliches Gesicht und folgte ihm wortlos.
Marie hatte sich nicht einmal mehr gekämmt. Als sie ins Schlafzimmer gekommen war, hatte sie durch das geöffnete Fenster auf das Meer hinausgesehen und ein Boot entdeckt. Sie war zum Fenster gegangen, um es besser sehen zu können, hatte den Kopf an den Fensterrahmen gelehnt und war einfach so stehengeblieben. Mit lautem Knattern war der alte Autobus, der das Dorf anfuhr, vorbeigekommen, ein Motorboot hatte mit ohrenbetäubendem Lärm angelegt, eine Gruppe Kinder war schreiend zum Hafen hinuntergelaufen. Das Schiff, das anfangs Maries Aufmerksamkeit erregt hatte, war inzwischen längst außer Sichtweite, und es war wieder still geworden. Vom Boden her stieg ein leichter harziger Geruch auf.
Außer ihnen war niemand im Treppenhaus. Marie legte liebevoll den Arm um Jeans Schultern.
»Bist du mir böse?«
Im Erdgeschoß blieb sie einen Moment vor dem Spiegel im Flur stehen. »Ist wenigstens meine Frisur in Ordnung?«
Der Knoten war etwas nach unten gerutscht, und die braune Strähne hing ihr, wie schon vorhin, viel zu tief über die rechte Schläfe herab.
»Ja. Du hast zwar lange gebraucht, aber du siehst gut aus.«
Sie sagte nichts darauf. Er hatte sie nicht einmal angesehen … Wahrscheinlich hatte er es so eilig, aus dem Haus zu kommen, daß er gar nicht richtig hingeschaut hatte. Aber schließlich hatte sie ihn ja auch eine halbe Stunde warten lassen.
Als sie das Haus verließen, sagte Marie: »Wie schön die Sonne scheint! Besseres Wetter könntest du zum Baden gar nicht haben.«
»Möchtest du denn nicht baden?«
»Ich weiß noch nicht. Ich werdʼs dir sagen, wenn ich das Wasser gesehen habe.«
»Das sagst du immer, und dann badest du doch nie.«
Die Straße ist weiß, ausgetrocknet, ohne Schatten. Sie gehen, ohne miteinander zu sprechen, in die Hitze hinaus und auf die andere Straßenseite. In der Sonne ist Maries Kleid etwas durchsichtig, so daß sich ihre langen, sanft gerundeten Beine unter dem Stoff abzeichnen. Das Licht bringt alle Farben in ihrem Haar zum Leuchten: Kastanienbraun, Rot, Blond. Ab und zu blinzelt sie mit den Augen oder runzelt die Stirn und hebt schützend ihre großen, schönen Hände vors Gesicht.
Sie kommen zu einem schmalen, von Zypressen gesäumten Weg, der zum Meer hinunterführt. Dicht nebeneinander gehen sie auf der rechten Seite des Wegs im mageren Schatten der jungen Bäume. Maries Haar hat jetzt wieder einen einheitlicheren Farbton, ihr Gesicht entspannt sich, und man kann ihre Augen besser erkennen, den abwesenden Blick, der die Dinge mit Gleichgültigkeit zu betrachten scheint. Auf einmal endet der Weg. Er öffnet sich auf einen Strand, und plötzlich stehen sie wieder