1. KAPITEL
Das Zimmer drehte sich. Lichter blitzten vor ihren Augen und bildeten bunte Muster, als würde sie durch ein Kaleidoskop blicken. Blinzelnd sah Elin zu dem Kronleuchter im Salon hoch. Ihr war noch nie aufgefallen, dass die Kristalle wie Diamanten funkelten.
„Soll ich dir noch einen Drink besorgen?“, ertönte eine Stimme über dem wummernden Beat der Rockmusik. Elin fühlte sich verloren, fast schwerelos, als würde sie schweben und auf sich selbst herabschauen. Sie versuchte, sich auf den Typen zu konzentrieren, den sie vage als einen von Virginias Freunden erkannte, die vorhin im Nachtclub gewesen waren. Elin kannte nicht einmal die Hälfte der Leute, die in ihrem Londoner Familienwohnsitz ihren Geburtstag feierten.
„Du darfst heute Abend nicht allein sein“, hatte Virginia erklärt, als der Nachtclub schloss, in dem sie vorher gefeiert hatten. „Sonst denkst du an deine Mutter und wirst traurig. Ich sag den Leuten Bescheid, dass die Party bei dir zu Hause weitergeht.“
Elin hatte nicht protestiert. Denn Virginia hatte recht. Sie ertrug es nicht, mit den Erinnerungen an den schockierenden Tod ihrer Adoptivmutter allein zu sein. Sie hatte Ralph erzählt, dass sie ihren Geburtstag mit Freunden in Schottland verbringe, doch wegen überfrierenden Nebels war ihre Reise am Flughafen London Gatwick zu Ende gewesen. Der Mensch, mit dem sie ihren Geburtstag am liebsten verbracht hätte, war ihr Bruder. Aber Jarek war für die Saunderson Bank geschäftlich in Japan. Er behauptete, die Reise sei zwingend notwendig, doch Elin hatte den Eindruck, dass er ihr aus dem Weg ging, weil er sich die Schuld am Tod ihrer Mutter gab.
„Elin?“
Sie konzentrierte sich wieder auf den Typen – Tom, wenn sie sich richtig erinnerte. Er stand zu dicht neben ihr, und so wie er sie ansah, wünschte sie, sie hätte nicht das tief ausgeschnittene Kleid angezogen, zu dessen Kauf Virginia sie überredet hatte. Das Kleid war kaum mehr als ein Hauch aus roter Seide und Chiffon, und wegen der dünnen Träger konnte sie keinen BH darunter tragen.
Tom nahm ihr das leere Glas aus der Hand. „Noch mal dasselbe?“
„Lieber nicht. Ich glaube, ich hatte schon zu viel.“ Vielleicht war ihr deshalb so komisch. Normalerweise wurde sie von Alkohol müde, doch heute fühlte sie sich voller Energie, geradezu euphorisch. Die intensive Trauer der letzten Monate schien weit weg, als wäre sie von ihren Gefühlen losgelöst. Vielleicht war das die Lösung: Trinken, bis man alles vergaß. So wie Jarek es in letzter Zeit viel zu oft tut, dachte Elin düster. Doch heute Abend wollte sie wenigstens für ein paar Stunden das Bild ihrer Mutter vergessen, wie sie reglos auf dem Boden lag.
„Was war in dem letzten Cocktail, den du mir gemacht hast?“, fragte sie Tom. „Der hat anders geschmeckt als ein gewöhnlicher Manhattan.“
Er bedachte sie mit einem seltsamen Blick. „Möglicherweise habe ich einen Spritzer zu viel Angostura dazu gegeben.“ Er legte einen Arm um ihre Taille, und Elin unterdrückte ein Schaudern, als sie seinen heißen Atem an ihrer Wange spürte. Er sah nicht schlecht aus. Viele Frauen hätten ihn sicher attraktiv gefunden, doch irgendetwas an ihm störte sie, und sie versteifte sich, als er murmelte: „Lass uns irgendwohin gehen, wo wir allein sind, Baby.“
„Eigentlich hätte ich doch noch gern einen Drink“, sagte sie schnell. „Ich habe Durst.“ Das war nicht gelogen. Sie hatte furchtbaren Durst, und aus irgendeinem Grund schlug ihr Herz unnatürlich schnell. Sie sah, wie Tom sich einen Weg durch die Menge zum Sideboard bahnte, das als Bar diente, und verdrückte sich schnell, bevor er zurückkam.
In der Lounge hatte jemand den Teppich zur Seite gerollt, damit getanzt werden konnte. Hier war die Musik noch lauter, und der schwere Bass vibrierte durch Elins Körper. Jemand nahm ihre Hand und begann, mit ihr zu tanzen. Der hämmernde Beat war unwiderstehlich, und sie warf ihr langes Haar zurück und tanzte frei und ungehem