1. KAPITEL
Die karge Hügellandschaft des Dartmoor war von eisigem Frost überzogen. Als der Geländewagen von der Landstraße in einen schmalen Schotterweg einbog, entdeckte Vito schon das malerische Cottage hinter ein paar winterlichen Baumgerippen. Während sich sein Fahrer um das Gepäck kümmerte, stieg Vito mit grimmigem Gesicht aus dem Wagen und ging auf das Haus zu. Als erneut eine SMS auf seinem Handy einging, war ihm die Anspannung der letzten Tage noch deutlicher anzusehen als zuvor. Er ignorierte die Nachricht und betrat das Haus.
Wärme empfing ihn. In dem offenen Kamin des Cottages brannte ein gemütliches Feuer. Müde fuhr sich Vito durch das dichte blauschwarze Haar. Er war kein Feigling. Er war auch nicht geflüchtet, wie ihm seine Exverlobte vorgeworfen hatte. Viel lieber wäre er in Florenz geblieben und hätte die Stellung gehalten! Doch die Paparazzi ließen ihm dort keine Ruhe, und eine sensationslüsterne Schlagzeile jagte die nächste.
Nun war Vito doch dem Rat seines besten Freundes Apollo gefolgt und hatte sich aus Italien abgesetzt – in der Hoffnung, dass sich der Presserummel so schneller legen würde. Er musste schließlich seine Mutter schützen! Gerade war Vitos Vater mit einem schweren Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert worden, da wollte Vito seiner Mutter jede zusätzliche Aufregung ersparen!
Zweifellos besaß sein Freund Apollo wesentlich mehr Erfahrung darin, mit Skandalen und schlechter Presse fertigzuwerden. Der griechische Playboy führte ein deutlich zwangloseres Leben als Vito, dem man bereits von Kindesbeinen an eingebläut hatte, dass er einmal der nächste Direktor der berühmten Zaffari-Bank werden würde. Sein Großvater hatte ihn in der Tradition einer Familie erzogen, die ihre Wurzeln bis ins Mittelalter zurückverfolgen konnte. Damals war der Name Zaffari gleichbedeutend gewesen mit Begriffen wieEhre undPrinzipien. Jetzt nicht mehr, dachte Vito reumütig. Für immer und ewig würde er nun als der Banker in Erinnerung bleiben, der sich mit Drogen und Stripperinnen abgab …
Sein Fahrer hatte inzwischen das letzte Gepäckstück hereingeholt. Vito bedankte sich mit einem großzügigen Trinkgeld und verabschiedete den Mann. Nun war er völlig allein.
Gedankenverloren schüttelte Vito den Kopf. Drogen und Stripperinnen waren wirklich nicht sein Stil! Einer seiner engsten Schulfreunde war während einer Party an einer Überdosis gestorben. Illegale Substanzen hatten für Vito nie einen Reiz dargestellt. Und die Prostituierten? Mein Gott, er konnte sich ja nicht mal erinnern, wann er das letzte Mal Sex gehabt hatte. Zwar war er noch bis vor einer Woche verlobt gewesen, doch Marzia hatte sich in dieser Hinsicht als sehr zugeknöpft erwiesen.
„Sie ist durch und durch eine Lady“, hatte sein Großvater noch kurz vor seinem Tod voller Zufriedenheit geäußert. „Eine Ravello mit dem richtigen Hintergrund und der richtigen Erziehung. Sie wird eine hervorragende Gastgeberin abgeben und später eine gute Mutter für deine Kinder sein.“
Jetzt nicht mehr, dachte Vito und las die neueste SMS seiner Ex.
Was ist mit dem Abriano-Gemälde? hatte sie geschrieben.
Er schrieb Marzia knapp zurück, dass sie das Verlobungsgeschenk seines Großvaters zurückgeben musste. Es war Millionen wert – wie viel Entschädigung wollte sie denn noch verlangen? Er hatte ihr bereits das Haus angeboten, das sie ursprünglich gemeinsam hatten bewohnen wollen, doch das lehnte sie ab.
Trotz seiner Großzügigkeit fühlte Vito sich schuldig. Er hatte Marzias Leben auf den Kopf gestellt, hatte sie in Verlegenheit gebracht. Aber er konnte seiner ehemaligen Verlobten nicht die Wahrheit sagen. Weil er ihr nicht zutraute, dass sie das Ganze für sich behalten würde. Sollte die Wahrheit jedoch herauskommen, dann wäre sein Opfer umsonst gewesen, und die einzige Frau, die er je geliebt hatte, würde eine öffentliche Demütigung erfahren.
Vito hatte eine schwere Wahl getroffen. Doch er hatte genau gewusst, auf was er sich einließ und war bereit, den Preis dafür zu zahlen.
Trotzdem kam es ihn hart an, sich über Weihnachten hinweg mehrere Wochen zu verkriechen. Sein Instinkt sagte ihm nämlich, dass Angriff immer noch die beste Verteidigung war.
„Ritchie ist ein widerlicher, verlogener Mistke