: Gabriele Wohmann
: Schwarz und ohne alles Erzählungen
: Aufbau Verlag
: 9783841215369
: 1
: CHF 11.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 221
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wenn Holy die Decke auf den Kopf fällt, geht sie in 'Vanessas Salon'. Hier findet sie außer Klatsch auch ein offenes Ohr für ihre Sorgen, immer Trost und manchmal Rat. Der Mensch braucht Kontakt, sonst wird er sonderbar, meinen dort alle, und wenn Holy wieder zu Hause ist, hat sie nicht nur eine neue Frisur, sondern weiß, wie andere mit dem Leben umgehen, und fühlt sich gleich besser. In so einem Salon ließen sich Geschichten hören wie die von Holy oder Paul oder Ottilia. Und wenn man so genau beobachten würde wie Gabriele Wohmann, könnte man den Moment ausmachen, in dem sie erkennen, wie die Liebe ist oder das Unglück. Man kann sich aber auch gleich in das Wohmann'sche Parallel-Universum aus skurrilen oder tröstlichen Beziehungen begeben und eines lernen: sie zu durchschauen.

Gabriele Wohmann, 1932 in Darmstadt geboren, gehörte zu den wichtigsten Schriftstellerinnen Deutschlands. Ihr umfangreiches Werk umfasst Romane, Gedichte, Essays, Hör- und Fernsehspiele, vor allem aber galt sie als eine Meisterin der Kurzgeschichte. Mit scharfem, ironischem Blick und einem Gespür für die verborgenen Dramen des Alltags schrieb sie unverwechselbare und stets pointierte Shortstorys über die Abgründe und Tröstungen des normalen Lebens. Gabriele Wohmann erhielt zahlreiche Preise, darunter den Bremer Literaturpreis und den Hessischen Kulturpreis, und das Große Bundesverdienstkreuz. Sie starb am 22. Juni 2015 in Darmstadt.Im Aufbau Verlag erschienen die Sammlungen 'Scherben hätten Glück gebracht', 'Schwarz und ohne alles', 'Wann kommt die Liebe', 'Eine souveräne Frau. Die schönsten Erzählungen' (Hrsg. von Georg Magirius) sowie 'Weihnachten ohne Parfüm'.

Little Land


Ich musste sehr früh aufstehen, ich hoffte, nicht wieder vergeblich wie so oft in den letzten Wochen. An diesem Montag sollte es trocken bleiben. Endlich könnten die Anstreicher für mein Landhäuschen kommen, mein Little Land. Alle finden mein Leben zu hart, irgendwie streng, und einsam auch. Und niemand hat sich mit mir begeistert, als ich draußen in der Prärie Little Land erworben habe. Noch mehr Sparta, erst recht Einsamkeit: Mein nächster Nachbar wohnt sieben Meilen von Little Land entfernt. Ich entbehre nichts, Shakespeare genügt mir.

Neun Uhr, hatte David gesagt, neun Uhr am Landhäuschen, aber nach früheren Erfahrungen mit ihm konnte ich das nur halb ernst nehmen. Es ist auch schon vorgekommen, dass er vor der verabredeten Zeit an Ort und Stelle war. Weil ich nichts riskieren wollte, habe ich mich aus einem schlingpflanzenartigen Traumschlafdickicht gerissen und dabei, wie immer bei sehr frühem Aufstehen,das ist kriminell gedacht. In Little Land müsste ich die Sicherung für die elektrische Pumpe anstellen, Shakespeare in den Zwinger sperren und werweißwas noch vorbereiten. Nach dem Sonntagsausflug mit Shakespeare fühlte ich mich eigentlich für jede Bewegung zu abgenutzt. Wir hatten Spitzmorcheln und Maipilze gesucht, ich sagewir, Shakespeare hat natürlich keine Pilze gesucht, war jedoch als Gesellschaft eine große Hilfe. Fast, weil ich so bleiern war, hätte ich mir Regen gewünscht und damit einen Aufschub der dringenden Arbeit in Little Land. Da klingelte um halb acht das Telephon. Es war David. Er sagte, ihr Arbeitsplan habe sich verschoben, und sie könnten nicht kommen. Also bis dann, Dienstag.

Wirklich, verrückt, aber ich war richtig erleichtert. Ich bin sonst nicht so. Ich holte die Lokalzeitung herein, ich abonniere sie fast nur wegen der lokalen Wettervorhersage. Für Montag lautete sie: cooler, late t-storms 67 °/36°. Für Dienstag: cooler yet, with showers 53°/ 33°. Das machte auch den Dienstagstermin ziemlich unwahrscheinlich. Aber David hatte entschlossen geklungen, und ich fragte Shakespeare, der zweimal aufmunternd bellte, alles okay?, und er grinste auch. Ich sage lieber keinem mehr, dass Shakespeare grinsen kann, sogar lachen, ich habe keine guten Erfahrungen damit gemacht.

Ich hatte an diesem Montag aus Nervosität mein Zigaretten-Gesetz überschritten, eine pro Stunde, wie Breshnew mit seiner eigens dafür konstruierten Maschine oder was immer es bei ihm war, das ihn vor der Stundenfrist an keine Zigarette heranließ. Und den zweiten Pulverkaffee hatte ich mir auch schon aufgegossen, war jetzt richtig wach und konnte mir einen Tagesplan machen. Ich bereitete mein Osteoporose-Frühstück zu: mit einem aus Algen hergestellten Calcium-Pulver. Ich leerte zwei der Kapseln in einen Glasnapf, verrührte es mit drei Löffeln Yoghurt, garnierte alles mit etwas Gefriergelee. Danach esse ich meistens einen Toast mit Tomate und zusammen mit Shakespeare ein bisschen Thunfisch. Keine Ahnung, ob das Osteoporose-Frühstück meinen Knochen nützt, ich habe mich entschlossen, daran zu glauben.

Und der Tagesplan nahm Gestalt an. Ich würde noch heute nach Little Land hinausfahren und übernachten, um morgen David und seine Gehilfen früh gleich dort zu empfangen. Vorher würde ich einige Besorgungen in der Stadt machen, zu Haus gab es auch eine Menge zu erledigen, mehrere Telephonate, eine dringende E-Mail beantworten (mein Doktorand hatte Fragen, die nicht bis Semesteranfang warten konnten, er hatte sich in eine Sackgasse geschrieben, wie es aussah). Es hat übrigens etwas geregnet, zuerst als Nieseln, dann mit einem Schauer. Ich stopfte noch eine Ladung Wäsche in die Waschmaschine, holte die Post rein und sortierte sie. Danach kümmerte ich mich um Shakespeares und meinen Proviant. Shakespeare, der mittlerweile al