: Karl May
: Durch die Wüste Reiseerzählungen
: Null Papier Verlag
: 9783954187133
: Karl May bei Null Papier
: 3
: CHF 2.20
:
: Spannung
: German
: 626
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Überarbeitete Ausgabe in Neuer Deutscher Rechtschreibung Kara Ben Nemsi und sein treuer Begleiter Hadschi Halef Omar finden in der Wüste eine Leiche. Dieser Fund wird zum Ausgangspunkt einer Reihe von spannenden Abenteuern. Unsere tapferen Gefährten müssen eine Gefangene aus einem Harem befreien, sie kämpfen gegen Piraten, besuchen Mekka, begegnen dem schrulligen Sir David Lindsay und befehligen gleich ein ganzes Heer in die Schlacht um das 'Tal der Stufen'. Dieser Band bildet den Auftakt zum sechsbändigen 'Orientzyklus'. Diese vergleichende Ausgabe hat als Grundlage die 'Hausschatz-Fassung' (Dt. Hausschatz 7.Jahrg.). Null Papier Verlag

Karl Friedrich May (25.02.1842-30.03.1912) war ein weltweit erfolgreicher, deutscher Autor von Abenteuergeschichten und historischen Erzählungen. Er war sehr produktiv, sein Werk umfasst Hunderte von Fortsetzungsromanen, Novellen und Geschichten. Er ist einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland (Stand 2015). Bekannt wurde er vor allem durch seine Reiseerzählungen, die vorwiegend im Orient, in den Vereinigten Staaten und in Mexiko Ende des 19. Jahrhunderts spielen. Besondere Berühmtheit erlangten die Geschichten um den Indianerhäuptling Winnetou. Viele seiner Werke wurden verfilmt.

Ein To­des­ritt


Und ist es wirk­lich wahr, Sih­di1, dass du ein Gi­aur blei­ben willst, ein Ungläu­bi­ger, wel­cher ver­ächt­li­cher ist als ein Hund, wi­der­li­cher als eine Rat­te, die nur Ver­faul­tes frisst?«

»Ja«, ant­wor­te­te ich.

»Ef­fen­di, ich has­se die Ungläu­bi­gen und gön­ne es ih­nen, dass sie nach ih­rem Tode in die Dsche­hen­na kom­men, wo der Teu­fel wohnt; aber dich möch­te ich ret­ten vor dem ewi­gen Ver­der­ben, wel­ches dich er­ei­len wird, wenn du dich nicht zum Ikrar bil Li­san, zum hei­li­gen Zeug­nis, be­kennst. Du bist so gut, so ganz an­ders als an­de­re Sih­dis, de­nen ich ge­dient habe, und dar­um wer­de ich dich be­keh­ren, du magst wol­len oder nicht.«

So sprach Ha­lef, mein Die­ner und Weg­wei­ser, mit dem ich in den Schluch­ten und Klüf­ten des Dsche­bel Au­res her­um­ge­kro­chen und dann nach dem Dra el Haua her­un­ter­ge­stie­gen war, um über den Dsche­bel Tar­faui nach Sed­da­da, Kris und Dgasche zu kom­men, von wel­chen Or­ten aus ein Weg über den be­rüch­tig­ten Schott Dsche­rid nach Fet­nas­sa und Kbil­li führt.

Ha­lef war ein ei­gen­tüm­li­ches Kerl­chen. Er war so klein, dass er mir kaum bis un­ter die Arme reich­te, und da­bei so ha­ger und dünn, dass man hät­te be­haup­ten mö­gen, er habe ein vol­les Jahr­zehnt zwi­schen den Lösch­pa­pier­blät­tern ei­nes Her­ba­ri­ums in fort­wäh­ren­der Pres­sung ge­le­gen. Da­bei ver­schwand sein Ge­sicht­chen voll­stän­dig un­ter ei­nem Tur­ban, der vol­le drei Fuß im Durch­mes­ser hat­te, und sein einst weiß ge­we­se­ner Bur­nus, wel­cher jetzt in al­len mög­li­chen Fett- und Schmutz­nu­an­cen schim­mer­te, war je­den­falls für einen weit grö­ße­ren Mann ge­fer­tigt wor­den, so­dass er ihn, so­bald er vom Pfer­de ge­stie­gen war und nun ge­hen woll­te, empor­neh­men muss­te wie das Reit­kleid ei­ner Dame. Aber trotz die­ser äu­ße­ren Un­an­sehn­lich­keit muss­te man al­len Re­spekt vor ihm ha­ben. Er be­saß einen un­ge­mei­nen Scharf­sinn, viel Mut und Ge­wandt­heit und eine Aus­dau­er, wel­che ihn die größ­ten Be­schwer­den über­win­den ließ. Und da er auch au­ßer­dem alle Dia­lek­te sprach, wel­che zwi­schen dem Wohn­sit­ze der Uëlad Bu Seba und den Nil­mün­dun­gen er­klin­gen, so kann man sich den­ken, dass er mei­ne volls­te Zufrie­den­heit be­saß, so­dass ich ihn mehr als Freund denn als Die­ner be­han­del­te.

Eine Ei­gen­schaft be­saß er nun al­ler­dings, wel­che mir zu­wei­len recht un­be­quem wer­den konn­te: Er war ein fa­na­ti­scher Mu­sel­mann und hat­te aus Lie­be zu mir den Ent­schluss ge­fasst, mich zum Is­lam zu be­keh­ren. Eben jetzt hat­te er wie­der einen sei­ner frucht­lo­sen Ver­su­che un­ter­nom­men, und ich hät­te la­chen kön­nen, so ko­misch sah er da­bei aus.

Ich ritt einen klei­nen, halb­wil­den Ber­ber­hengst, und mei­ne Füße schleif­ten da­bei fast am Bo­den; er aber hat­te sich, um sei­ne Fi­gur zu un­ter­stüt­zen, eine alte, dür­re, aber him­mel­ho­he Has­si-Ferd­sch­ahn-Stu­te aus­ge­wählt und saß also so hoch, dass er zu mir her­nie­der­bli­cken konn­te. Wäh­rend der Un­ter­hal­tung war er äu­ßerst leb­haft; er we­del­te mit den bü­gel­lo­sen Bei­nen, ges­ti­ku­lier­te mit den dün­nen, brau­nen Ärm­chen und ver­such­te, sei­nen Wor­ten durch ein so leb­haf­tes Mie­nen­spiel Nach­druck zu ge­ben, dass ich alle Mühe hat­te, ernst zu blei­ben.

Als ich auf sei­ne letz­ten Wor­te nicht ant­wor­te­te, fuhr er fort:

»Weißt du, Sih­di, wie es den Gi­aurs nach ih­rem Tode er­ge­hen wird?«

»Nun?«, frag­te ich.

»Nach dem Tode kom­men alle Men­schen, sie mö­gen Mos­lems, Chris­ten, Ju­den oder et­was an­de­res sein, in den Barz­akh.«

»Das ist der Zu­stand zwi­schen dem Tode und der Au­fer­ste­hung?«

»Ja, Sih­di. Aus ihm wer­den sie alle mit dem Schall der Po­sau­nen er­weckt, denn el Jaum el Ak­bar, der Jüngs­te Tag, und el Ak­hi­ret, das Ende, sind ge­kom­men, wo dann al­les zu­grun­de geht, au­ßer el Kuhrs, der Ses­sel Got­tes, el Ruhh, der Hei­li­ge Geist, el Lau­hel ma­fus und el Kalam, die Ta­fel und die Fe­der der gött­li­chen Vor­her­be­stim­mung.«

»Wei­ter wird nichts mehr be­ste­hen?«

»Nein.«

»Aber das Pa­ra­dies und die Höl­le?«

»Sih­di, du bist klug und wei­se; du merkst gleich, was ich ver­ges­sen habe, und da­her ist es jam­mer­scha­de, dass du ein ver­fluch­ter Gi­aur blei­ben willst. Aber ich schwö­re es bei mei­nem Bar­te, dass ich dich be­keh­ren wer­de, du magst wol­len oder nicht!«

Bei die­sen Wor­ten zog er sei­ne Stirn in sechs dro­hen­de Fal­ten, zupf­te sich an den sie­ben Fa­sern sei­nes Kinns, zerr­te an den acht Spin­nen­fä­den rechts und an den neun Par­ti­keln links von sei­ner Nase, sum­ma sum­ma­rum Bart ge­nannt, schlen­ker­te die Bei­ne un­ter­neh­mend in die Höhe und fuhr mit der frei­en an­de­ren Hand der Stu­te so kräf­tig in die Mäh­ne, als sei sie der Teu­fel, dem ich ent­ris­sen wer­den soll­te.

Das so grau­sam aus sei­nem Nach­den­ken ge­stör­te Tier mach­te einen Ver­such, vorn em­por­zu­stei­gen, be­sann sich aber so­fort auf die Ehr­wür­dig­keit sei­nes Al­ters und ließ sich in sei­nen Gleich­mut stolz zu­rück­fal­len. Ha­lef aber setz­te sei­ne Rede fort:

»Ja, Dschen­net, das Pa­ra­dies, und Dsche­hen­na, die Höl­le, müs­sen auch mit blei­ben, denn wo­hin soll­ten die Se­li­gen und die Ver­damm­ten sonst kom­men? Vor­her aber müs­sen die Au­fer­stan­de­nen über die Brücke Ssi­reth, wel­che über den Teich Handh führt und so schmal und scharf ist, wie die Schnei­de ei­nes gut ge­schlif­fe­nen Schwer­tes.«

»Du hast noch eins ver­ges­sen«, be­merk­te ich.

»Was?«, frag­te er.

»Das Er­schei­nen des Dedd­schel.«

»Wahr­haf­tig! Sih­di, du kennst den Koran und alle hei­li­gen Bü­cher und willst dich nicht zur wah­ren Leh­re be­keh­ren! Aber tra­ge nur kei­ne Sor­ge; ich wer­de einen gläu­bi­gen Mos­lem aus dir ma­chen! Also vor dem Ge­richt wird sich der Dedd­schel zei­gen, den die Gi­aurs den An­ti­christ nen­nen, nicht wahr, Ef­fen­di?«

»Ja.«

»Dann wird über je­den das Buch Kit­ab auf­ge­schla­gen, in wel­chem sei­ne gu­ten und bö­sen Ta­ten ver­zeich­net ste­hen, und die Hi­sab ge­hal­ten, die Mus­te­rung sei­ner Hand­lun­gen, wel­che über fünf­zig­tau­send Jah­re währ­ten, eine Zeit, wel­che den Gu­ten wie ein Au­gen­blick ver­ge­hen, den Bö­sen aber wie eine Ewig­keit er­schei­nen wird. Das ist das Hukm, das Ab­wie­gen al­ler mensch­li­chen Ta­ten.«

»Und nach­her?«

»Nach­her folgt das Ur­teil. Die­je­ni­gen mit über­wie­gend gu­ten Wer­ken kom­men in das Pa­ra­dies, die un­gläu­bi­gen Sün­der aber in die Höl­le, wäh­rend die sün­di­gen Mos­lems nur auf kur­ze Zeit be­straft wer­den. Du siehst also, Sih­di, was dei­ner war­tet, selbst wenn du mehr gute als böse Ta­ten ver­rich­test. Aber du sollst ge­ret­tet wer­den, du sollst mit mir in das Dschen­net, in das Pa­ra­dies, kom­men, denn ich wer­de dich be­keh­ren, du magst wol­len oder nicht!«

Und wie­der stram­pel­te er bei die­ser Ver­si­che­rung so ener­gisch mit den Bei­nen, dass die alte Has­si-Ferd­sch­ahn-Stu­te ganz ver­wun­dert die Ohren spitz­te und mit den großen Au­gen nach ihm zu schie­len ver­such­te.

»Und was harrt mei­ner...