Vincent Graham stand in dem großzügigen Büro seines Anwesens am Rande von Cork und ließ bedächtig den Hörer seines Telefons auf die Gabel sinken. Dass nun auch noch Agatha ausfiel, glich einer mittleren Katastrophe. Eben hatte die Haushälterin angerufen und ihm unter Tränen versichert, wie leid ihr das Dilemma tat. Sie war gestern Abend über eine Stufe gestolpert und hatte sich den Arm gebrochen. Ausgerechnet jetzt. In zwei Wochen musste er aus beruflichen Gründen für ein paar Tage nach Waterford. Es war weder möglich, diesen Termin abzusagen, noch konnte er Brenda in der Zeit allein lassen. Vincent rieb sich die Schläfen. Er brauchte eine Lösung – und zwar schnell. Er ließ sich auf den Bürostuhl aus schwarzem Leder fallen, der hinter seinem stattlichen Schreibtisch stand. Wo bekam er so rasch Ersatz für Agatha her? Noch dazu einen Ersatz, der bereit war, nur für einige Wochen einzuspringen, solange die Haushälterin krankgeschrieben war. Vermutlich nirgends. Die meisten Leute suchten eine langfristige Anstellung. Grübelnd ließ er den Blick durch den Raum schweifen, über die wandhohen Bücherregale, in denen dicht an dicht jede Menge Lesestoff stand. Von der holzgetäfelten Zimmerdecke hing ein Kristalllüster, und den dunklen Parkettboden bedeckte ein großer rot-gemusterter Teppich. Die hohen Sprossenfenster blitzten im Licht der Morgensonne. Agatha war eine zuverlässige Kraft. Wieder klingelte sein Telefon. Das Display zeigte an, dass der Ruf aus dem Haus kam. Brenda wünschte ihn zu sehen. Nur widerwillig hob er ab.
„Brenda, was gibt es?“
„Was es gibt? Du hast Nerven. Ich liege hier und kann mich kaum rühren. Wo bleibt Agatha? Ich hab schon zweimal in der Küche angerufen, aber sie hört nicht. Sie soll das Frühstück abräumen.“
„Agatha hat sich eben bei mir gemeldet. Sie fällt die nächste Zeit aus. Sie hat sich den Arm gebrochen“, gab er Auskunft.
„Was? Das kann doch wohl nicht wahr sein.“ Brendas Stimme klang empört und gar nicht nach Anteilnahme. Das war nichts Neues. Schon immer hatte sie wenig Empathie für ihre Mitmenschen gezeigt. Vincent fragte sich, wie er sich jemals in Brenda hatte verlieben können. Er war offenbar blind gewesen für alle Anzeichen, dass sie nicht zusammen passten.
„Dann musst eben du kommen und abräumen. Ich habe keine Lust, den ganzen Vormittag oder noch länger das benutzte Geschirr hier stehen zu haben.“
„Du wirst dich einen Moment gedulden müssen“, erwiderte er, mühsam beherrscht. „Ich komme, aber ich bin nicht dein Angestellter oder dein Laufbursche.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, legte er auf. In seinem Bauch brodelte es. Was fiel ihr ein, ihn herumzukommandieren wie einen Dienstboten? Aber warum regte er sich auf? Brenda würde sich nie ändern. Eine gewisse Hochnäsigkeit war ihr wohl angeboren, und zudem war sie vor allen Dingen die einzige Tochter eines vermögenden Mannes, der in späten Jahren zum ersten Mal Vater geworden war und sein Kind finanziell verwöhnt, auf Händen getragen und in Watte gepackt hatte. Brenda war sich selbst der Mittelpunkt ihres Daseins. Die Menschen in ihrem Leben waren ihrer Ansicht nach dazu da, ihren Wünschen nachzukommen.
Vincent erhob sich von seinem Sessel und warf einen Blick auf die Uhr. Eigentlich hätte er in einer Stunde in der Firma sein müssen. Doch das hieß, Brenda bis zum späten Nachmittag allein zu lassen. Im Grunde ging das überhaupt nicht. Er musste seiner Sekretärin Bescheid sagen. Sie würde sämtliche Termine für ihn für heute absagen müssen. Er verließ sein Büro und schritt durch die geräumige Wohnhalle, die in einen Gang mündete, von dem mehrere Türen abgingen. Er klopfte kurz an die zweite Tür und öffnete sie, ohne eine Aufforderung abzuwarten.
Brenda saß aufrecht in ihr