1. Kapitel,
in welchem ein Abenteuer beginnt, ohne dass ich es ahne. Zunächst bin ich sehr, sehr wütend und wandere aus. Schließlich geschieht etwas Überraschendes und erstaunlich Kleines.
Ich bin zwölf Jahre alt, und mein Name ist Karl.
Karl Sonntag.
Karl heiße ich, weil K der nächste Name auf irgendeiner Liste war, als man mich fand. Und Sonntag, weil ich an einem Sonntag im August gefunden wurde.
Es war auch ein Sonntag im August, an dem ich meinen besten Freund verlor.
Ich verlor ihn nicht, weil ich ihn irgendwo liegen ließ, so, wie man ein Portemonnaie verliert oder einen Haustürschlüssel. Ich verlor ihn, weil er in einem roten Auto wegfuhr.
Er drückte seine Nase lange an die Heckscheibe und winkte.
Ich stand unter einem Schirm und winkte auch. Und es regnete.
Und kurz darauf begannen all die seltsamen und unglaublichen Dinge zu geschehen, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie geschehen könnten.
Aber ich will der Reihe nach erzählen.
An jenem Sonntag standen Maria und ich also unter dem Schirm vor dem Kinderheim.
Maria ist schon erwachsen.
„Früher“, sagte ich zu ihr, „dachte ich immer, es gäbe irgendwo auch ein Erwachsenenheim.
Ein Kinderheim ist schließlich ein Heim für Kinder ohne Eltern. Und ein Erwachsenenheim, glaubte ich, wäre ein Heim für Eltern ohne Kinder.
Und ich dachte: Wenn man nur die beiden Heime zusammenlegen würde, dann wären alle froh und glücklich.“
Maria lachte. Sie hatte ihre Arme um mich gelegt und sah mit mir zusammen dem roten Auto nach.
„Ist es nicht schön“, sagte sie, „dass Achim Eltern gefunden hat?“
„Sehr schön“, sagte ich und sah grimmig in den Regen.
„Für dich finden wir auch noch welche“, sagte Maria.
„Quatsch“, sagte ich und bohrte mit der Spitze meines Turnschuhs kleine Mulden in den Kies, sodass der Schuh nass und dreckig wurde und der Kies löchrig und hässlich. „Wir finden keine. Du weißt doch genau, dass ich schon fünfmal zurückgegeben wurde.“
Da sah Maria in die Tropfenwelt hinaus und seufzte.
„Lass uns hineingehen, Karl“, sagte sie. „Es regnet zu sehr.“
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war kein Achim da, der mir die Decke wegzog. Es war auch kein Achim da, mit dem ich um die Wette die Treppen hinunterlaufen konnte, und kein Achim, mit dem ich beim Frühstück Brotkrümel-Wettpusten spielen konnte.
Nachmittags war kein Achim da, der unter den Apfelbäumen mit mir Fußball spielte, und abends war kein Achim da, der sich vor den Schatten fürchtete. Kein Achim, den ich beschützen konnte, weil er klein und schwach war und ich groß und stark.
Und so saß ich auf meinem Bett und merkte, wie nutzlos es war, ganz alleine groß und stark zu sein. Ich faltete einen Papierflieger, wie ich es mit Achim gemacht hatte. Aber es machte keinen Spaß, den Papierflieger alleine fliegen zu lassen. Da überkam mich eine plötzliche rote Wut, und ich zerknüllte den Papierflieger, bis er nur noch ein winz