: Gottfried Keller
: Jürgen Schulze
: Das verlorene Lachen Novelle
: Null Papier Verlag
: 9783962812935
: Klassiker bei Null Papier
: 2
: CHF 0.90
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 147
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Neue Deutsche Rechtschreibung Gottfried Keller (19.07.1819-15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen. Null Papier Verlag

Gottfried Keller (19.07.1819-15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen.

Erstes Kapitel



Drei El­len gute Ban­ner­sei­de,
Ein Häuf­lein Vol­kes, eh­ren­wert,
Mit kla­rem Aug, im Sonn­tags­klei­de,
Ist al­les, was mein Herz be­gehrt!
So end ich mit der Mor­gen­hel­le
Der Som­mer­nacht be­schränk­te Ruh
Und wand­re rasch dem fri­schen Quel­le
Der va­ter­län­d’­schen Freu­den zu.

Die Schif­fe fah­ren und die Wa­gen,
Be­kränzt, auf al­len Pfa­den her;
Die luft’­ge Hal­le seh ich ra­gen,
Von Stei­nen nicht noch Sor­gen schwer;
Vom Red­ner­sim­se schim­mert lieb­lich
Des Fest­po­ka­les Sil­ber­hort:
Heil uns, noch ist bei Frei­en üb­lich
Ein lei­den­schaft­lich frei­es Wort!

Und Wort und Lied, von Mund zu Mun­de,
Von Herz zu Her­zen hallt es hin;
So blüht des Fes­tes Ro­sen­stun­de
Und muss mit gold­ner Wen­de fliehn!
Und jede Pf­licht hat sie er­neu­et,
Und jede Kraft hat sie ge­stählt
Und eine Kör­ner­saat ge­streu­et,
Die nie­mals ihre Frucht ver­fehl­te
Drum wei­let, wo im Fei­er­klei­de
Ein rüs­tig Volk zum Fes­te geht
Und leis die fei­ne Ban­ner­sei­de
Hoch über ihm zum Him­mel weht!
In Va­ter­lan­des Saus und Brau­se,
Da ist die Freu­de sün­den­rein,
Und kehr nicht bes­ser ich nach Hau­se,
So werd ich auch nicht schlech­ter sein!

Die­ses Lied sang der Fah­nen­trä­ger des Seld­wy­ler Män­ner­cho­res, wel­cher an ei­nem pracht­vol­len Som­mer­mor­gen zum Sän­ger­fes­te wan­der­te. Nach­dem die Her­ren am Abend vor­her auf­ge­bro­chen und einen Teil des We­ges auf der Schie­nen­bahn be­för­dert wor­den wa­ren, hat­ten sie be­schlos­sen, den Rest in der Mor­gen­küh­le zu Fuß zu ma­chen, da es nur noch durch schö­ne Wal­dun­gen ging.

Schon brei­te­te sich der glän­zen­de See vor ih­nen aus mit der bunt­be­flagg­ten Stadt am Ufer, als die sech­zig bis sieb­zig jün­ge­ren und äl­te­ren Män­ner des Verei­nes in zer­streu­ten Grup­pen durch einen herr­li­chen Bu­chen­wald hin­ab­stie­gen und das hin­ter den großen Stäm­men woh­nen­de Echo mit Jauch­zen und ein­zel­nen Lie­der­stro­phen wi­der­hal­len lie­ßen, auch etwa ei­nem wei­ter­hin nie­der­stei­gen­den Fähn­lein ant­wor­te­ten.

Nur der al­len vor­aus­zie­hen­de Fah­nen­trä­ger, ein schlank ge­wach­se­ner jun­ger Mann mit bild­schö­nem Ant­litz, sang sein Lied voll­stän­dig durch mit freu­de­hel­ler und doch ge­mä­ßig­ter Ba­ri­ton­stim­me. Ge­schmückt mit brei­ter reich ge­stick­ter Schär­pe und statt­li­chem Fe­der­hut, trug er die eben­so rei­che, schwe­re Sei­den­fah­ne, halb zu­sam­men­ge­fal­tet, über die Schul­ter ge­legt, und de­ren gol­de­ne Spit­ze fun­kel­te hin und wie­der im grü­nen Schat­ten, wo die Strah­len der Mor­gen­son­ne durch die Laub­ge­wöl­be dran­gen.

Als er nun sein Lied ge­en­det, schau­te er lä­chelnd zu­rück, und man sah das schö­ne Ge­sicht in vol­lem Glücke strah­len, das ihm je­der gönn­te, da ein ei­gen­tüm­lich an­ge­neh­mes La­chen, wenn es sich zeig­te, je­den für ihn ge­wann.

»Un­ser Ju­kun­di«, sag­ten die hin­ter ihm Ge­hen­den zu­ein­an­der, »wird wohl der schöns­te Fähn­rich am Fes­te sein.« Er führ­te näm­lich den hei­ter klin­gen­den Na­men Ju­kun­dus Meyen­tal und wur­de mit all­ge­mei­ner Zärt­lich­keit schlecht­weg der Ju­kun­di ge­nannt. Es er­wahr­te sich auch die Hoff­nung; denn als die Seld­wy­ler, am Orte an­ge­kom­men, sich zum Ein­zu­ge un­ter die lan­gen Sän­ger­scha­ren reih­ten, er­reg­te sei­ne Er­schei­nung, wo sie durch­zo­gen, über­all großes Wohl­ge­fal­len.

Den­je­ni­gen, wel­che schon meh­re­re Fes­te ge­se­hen hat­ten, war er auch schon auf das vor­teil­haf­tes­te be­kannt als eine mus­ter­gül­ti­ge Fes­ter­schei­nung. Von ste­ter Fröh­lich­keit und Aus­dau­er vom ers­ten bis zum letz­ten Au­gen­bli­cke, war Ju­kun­di den­noch die Ruhe und Ge­las­sen­heit selbst; im­mer sah man ihn teil­neh­mend an je­der all­ge­mei­nen Freu­de und an je­der be­son­de­ren Aus­füh­rung, aus­har­rend und hilf­reich, nie über­laut oder gar be­trun­ken. Den schrei­en­den Pos­sen­ma­cher wuss­te er zu er­tra­gen wie den übel­lau­ni­schen Fest­gast, der sich über­nom­men und die Freu­de ver­dor­ben hat­te, und bei­de ver­stand er voll Dul­dung und Freund­lich­keit aus al­ler­lei Fähr­lich­kei­ten zu er­lö­sen, wenn die all­ge­mei­ne Ge­duld zu bre­chen droh­te, und sie aus be­schä­men­dem Schiff­bru­che zu er­ret­ten. Selbst den be­wusst­lo­sen Jäh­zor­ni­gen führ­te er, alle Schmä­hun­gen über­hö­rend, mit stil­lem Ge­schick aus dem Ge­drän­ge und er­warb sich Dank und An­häng­lich­keit des Nüch­tern­ge­wor­de­nen.

In die­ser Übung konn­te er üb­ri­gens nur als eine Dar­stel­lung al­ler Seld­wy­ler gel­ten, wenn sie zu Fes­te zo­gen. So un­ge­re­gelt und mü­ßig sie sonst leb­ten, so sehr hiel­ten sie auf Ord­nung, Fleiß und gute Hal­tung bei sol­chen An­läs­sen. Rühm­lich zo­gen sie auf und wie­der ab, eine gut ge­mus­ter­te ei­ni­ge Schar, so­lan­ge die Lust­bar­keit dau­er­te, und sich im vor­aus auf die zwang­lo­se Er­ho­lung freu­end, wel­che zu Hau­se nach so erns­ter An­stren­gung sich lan­ge­hin zu gön­nen sein wer­de.

In die­ser Wei­se hat­ten sie auch den Ge­sang, mit wel­chem sie am Sän­ger­ta­ge um den Preis zu rin­gen ge­dach­ten, treff­lich ein­ge­übt und schon­ten ihre Stim­men mit großer Ent­beh­rung. Sie hat­ten eine Ton­dich­tung ge­wählt, wel­che »Veil­chens Er­wa­chen!« be­ti­telt und auf ir­gend­ein nichts­sa­gen­des Lied­chen auf­ge­baut, aber so künst­lich und schwer aus­zu­füh­ren war, dass es schon Mo­na­te vor­her ein großes Ge­re­de gab an al­len Or­ten, als ob die Seld­wy­ler zu viel un­ter­nom­men und sich dem Un­ter­gang aus­ge­setzt hät­ten.

Als aber der Tag der Wett­ge­sän­ge vor­ge­rückt war und in der mäch­ti­gen wei­ten Hal­le Tau­sen­de von Hö­rern vor fast so viel tau­send Sän­gern sa­ßen und das Häuf­lein der Seld­wy­ler, da ihre Stun­de ge­kom­men, mit dem Ban­ner ein­sam vor­trat in dem Men­schen­mee­re, da hiel­ten sie den eben­so zar­ten als schwe­ren Ge­sang durch alle schwie­ri­gen Har­mo­ni­en und Ver­wi­cke­lun­gen hin­durch auf­recht ohne Wan­ken und lie­ßen ihn so weich und rein ver­hau­chen, dass man das blaue Veil­chen­knösp­chen glaub­te lei­se auf­plat­zen und das ers­te Düft­lein durch die Hal­le schwe­ben zu hö­ren.

Rau­schend, to­send brach der Bei­fall nach der atem­lo­sen Stil­le los, die er­ha­be­nen Kampf­rich­ter nick­ten vor al­lem Vol­ke sicht­bar mit den Häup­tern und sa­hen sich an, die gol­de­nen Do­sen er­grei­fend, Ehren­ge­schen­ke ent­le­gen woh­nen­der Fürs­ten und Völ­ker, und sich ge­gen­sei­tig Pri­sen an­bie­tend; denn es be­fan­den sich von den ers­ten Ka­pell­meis­tern dar­un­ter.

Die Seld­wy­ler selbst tra­ten mit ru­hi­ger Hal­tung zu­rück und wuss­ten ohne Auf­se­hen aus der Schlacht­ord­nung sich hin­aus­zu­win­den, um in ei­nem schat­ti­gen Gar­ten ein mä­ßi­ges Cham­pa­gner­früh­stück ein­zu­neh­men. Kei­ner be­gehr­te mehr als sei­ne drei...