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Alles fing damit an, dass ich an einem warmen Maimorgen meinen beiden liebsten Schriftstellerkollegen gegenübersaß und kalte Angst verspürte.
Es war Montag, der erste Tag unseres alljährlichen Schreib-Urlaubs, und Nils´ und Luizas Augen waren erwartungsvoll auf mich gerichtet. Beide brannten darauf, zu erfahren, was ich für meinen neuen Liebesroman plante, und ich hatte … nichts.
Dabei freute ich mich seit Wochen auf unser Treffen und hatte dem heutigen Tag geradezu entgegengefiebert! Konnte es für eine Schriftstellerin etwas Schöneres geben, als einen ganzen Monat lang ausschließlich in der Welt ihrer Bücher zu leben? Keine Verpflichtungen, keine Termine, keine Hausarbeit – nur Schreiben, Schreiben, Schreiben. Und das in einem Vier-Sterne-Hotel in Wien, voller Kitsch und Plüsch und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schloss Schönbrunn, der ehemaligen Kaiserresidenz? In Gesellschaft zweier ganz besonderer Kollegen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
Luiza Adoray war die Starautorin in unserem Trio. Ihre Gestaltwandlerserie mit den liebeshungrigen Jaguarmenschen hatte sich bereits millionenfach verkauft und wuchs jedes Jahr um zwei bis drei weitere Bände. Okay, vielleicht waren die Jaguarmenschen eher sex- als liebeshungrig, und natürlich war Luiza Adoray ein Künstlername. Passend zum Genre, exotisch, verspielt, wobei der Name irgendwie zu Luiza passte. Auch wenn sie im bürgerlichen Leben Petra Knöttig hieß und aus einem ganz und gar unromantischen Kaff im Ruhrpott stammte – Luiza war die Königin der Liebe und das nicht nur in ihren Büchern. Gemeinsam mit ihrem Mann Vincent Marquardt – der sie vergötterte – bewohnte sie eine Traumvilla in den Hügeln von Florenz und gab sich wie eine Diva. Sie kleidete sich in schillernde bodenlange Roben, auch wenn sie bloß eine Lesung hielt. An ihren Handgelenkten klapperten stets Dutzende von Armreifen – natürlich aus echtem Gold –, und ihr Haar saß perfekt bis auf die letzte Haarsträhne. Bei Sonne, Wind und Regen. Genau wie in der Fernsehwerbung. Die Frauenzeitschriften druckten regelmäßig Fotos von Luiza, auf denen sie aussah wie eine Märchenprinzessin.
Nils Hermann hingegen hatte gar nichts Märchenhaftes an sich. Er war beleibt, fast kahlköpfig, und trug billige Anzüge, die stets zu eng wirkten. Wäre man ihm zufällig auf der Straße begegnet, hätte man eher auf einen Buchhalter oder Steuerberater getippt als auf einen Romance-Autor. Und obwohl Nils bereits seit über zehn Jahren schrieb, hatten es seine historischen Liebesromane noch nie auf irgendeine Bestsellerliste geschafft. Was vermutlich daran lag, dass diese Werke meist sieben- bis achthundert Seiten dick waren und die geneigte Leserin mit ihrer geschichtlichen Genauigkeit und Detailfülle schon lange vor der ersten Liebesszene erschlugen.
Trotzdem, ich mochte Nils. Wenn wir die Feedback-Runden abhielten, bei denen wir unsere Manuskripte gegenseitig zerpflückten, gelang es ihm stets, klipp und klar zu sagen, woran genau eine Geschichte krankte. Was zwar schmerzhaft war, aber auch ungeheuer wertvoll. Schade nur, dass Nils im Annehmen von Feedback nicht halb so gut war wie im Geben. Seinen Büchern hätte es gutgetan, wenn der Autor etwas kritikfähiger gewesen wäre.
Nils war es auch, der stets den Ort unserer jährlichen Zusammenkunft bestimmen durfte, was schlicht daran lag, dass seine Romane gründlicher Vor-Ort-Recherchen bedurften. Und zwarwirklich gründlich