: François-René de Chateaubriand
: Atala
: Dörlemann eBook
: 9783038209539
: 1
: CHF 11.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 140
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Chateaubriand reist 1791 nach Amerika, um der Gewalt der Französischen Revolution zu entgehen. Dort entsteht auch Atala, seine von den klassischen Texten der Antike inspirierte Novelle, die 1801 in Frankreich erschien und zu einem großen Erfolg werden sollte.Atala erzählt die Geschichte zweier Liebender, die verfeindeten Indianerstämmen angehören. Chactas und Atala können zusammen fliehen, und sie finden Zuflucht bei einem alten Einsiedler. Doch ihrer Liebe steht ein Gelübde entgegen, das Atala der Mutter gegeben hat.

François-René de Chateaubriand, 1768 in Saint-Malo geboren, unternahm 1791, um der Radikalisierung der französischen Revolution zu entfliehen, eine Reise nach Amerika, wo ihn die unberührten Landschaften nachhaltig beeindruckten. 1801 feierte er mit Atala seinen ersten literarischen Erfolg. Neben politischen Essays und Reiseberichten folgten weitere literarische Werke, darunter die romantische Erzählung René (1802) und seine postum veröffentlichte Autobiografie Mémoires d'outre tombe (1849/50). Der Schriftsteller und Diplomat, der 1848 in Paris starb, gilt als Wegbereiter der französischen Romantik.

Der Bericht


Die Jäger


»Es ist ein seltsames Schicksal, mein lieber Sohn, das uns eint. Ich sehe in dir den Menschen der Zivilisation, der sich zum Wilden gemacht hat; du siehst in mir den Wilden, den der Große Geist (warum weiß ich nicht) zivilisieren wollte. Jeder von uns hat den Lebensweg von den zwei entgegengesetzten Enden betreten, du möchtest an meinem Platz Ruhe finden, und ich habe mich auf deinem niedergelassen: so mussten wir eine ganz verschiedene Sicht auf die Dinge bekommen. Wer von uns beiden, du oder ich, hat bei diesem Tausch des Standorts am meisten gewonnen oder am meisten verloren? Das wissen die Götter, von denen der ahnungsloseste mehr weiß als alle Menschen zusammen.

Beim nächstenBlumenmond sind es siebenmal zehn Schneezeiten und noch drei dazu, dass meine Mutter mich an den Ufern des Mississippi zur Welt brachte. Die Spanier hatten sich seit kurzem in derBucht von Pensacola niedergelassen, aber noch kein einziger Weißer bewohnte Louisiana. Ich zählte kaum siebzehnmal den Blätterfall, als ich mit meinem Vater, dem Krieger Outalissi, gegen die Muskogee zu Felde zog, gegen den mächtigen Stamm Floridas. Wir taten uns mit den Spaniern zusammen, unseren Verbündeten, und die Schlacht fand an einem der Arme desMaubila statt. Areskui und die Manitus waren uns nicht wohlgesonnen. Die Feinde siegten; mein Vater verlor das Leben; bei seiner Verteidigung wurde ich zwei Mal verletzt. Ach, dass ich damals nicht ins Reich der Seelen hinabgestiegen bin! Ich hätte das Unheil vermieden, das mich auf Erden erwartete. Die Geister hatten anderes verfügt: Ich wurde von den Flüchtenden nach Saint-Augustin mitgenommen.

In dieser von den Spaniern neu erbauten Stadt wäre ich um ein Haar in die Minen Mexikos verschleppt worden, als ein alter Mann aus Kastilien namens Lopez, den meine Jugend und Einfachheit rührte, mich aufnahm und seiner Schwester vorstellte, mit der er ohne Gattin lebte.

Beide entwickelten die zärtlichsten Gefühle für mich. Ich wurde mit großer Sorgfalt erzogen, ich bekam alle nur möglichen Lehrer. Doch nachdem ich dreißig Monde in Saint-Augustin verbracht hatte, wurde mir das Stadtleben zuwider. Ich wurde zusehends schwächer: mal starrte ich stundenlang reglos auf die Wipfel der fernen Forste; mal fand man mich am Ufer eines Flusses, den ich traurig dahinströmen sah. Ich malte mir die Wälder aus, durch die diese Wasser geflossen waren, und meine Seele war ganz und gar im einsamen Land.

Das Verlangen, in die Wildnis zurückzukehren, wurde unwiderstehlich, und so ging ich eines Morgens als Eingeborener gekleidet zu Lopez, in der einen Hand meinen Bogen und meine Pfeile, in der anderen meine europäischen Gewänder. Ich gab sie meinem großzügigen Beschützer zurück, zu dessen Füßen ich Ströme von Tränen vergießend niederfiel. Ich verlieh mir grässliche Namen, ich beschuldigte mich der Undankbarkeit: ›Und doch,‹ sagte ich, ›lieber Vater, du siehst es selbst: ich sterbe, wenn ich nicht wieder das Leben des Indianers führe.‹

Lopez war erschrocken und wollte mich von meinem Plan abbringen. Er hielt mir die Gefahren vor, die ich eingehen würde, und gab mir zu bedenken, dass ich erneut den Muskogee in die Hände fiele. Doch als er sah, dass ich zu jedem Wagnis entschlossen war,