: Thomas O. Höllmann
: Die Seidenstraße
: Verlag C.H.Beck
: 9783406720208
: Beck'sche Reihe
: 4
: CHF 8.70
:
: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 128
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB/PDF
Seit der Antike bilden die Routen, die heute unter dem Begriff Seidenstraße zusammengefasst werden, ein weitverzweigtes Verkehrsnetz, dessen Hauptstrang von Ostasien bis zum Mittelmeer reicht. Der Autor verfolgt dessen Spuren bis in die Gegenwart und rekonstruiert die Facetten eines Erbes, zu dem viele Völker und Kulturen beigetragen haben.

Thomas O. Höllmann ist Professor für Sinologie an der Universität München und Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Von ihm liegen zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte, Ethnologie und Archäologie Asiens vor. Bei C.H.Beck sind lieferbar: «Das alte China. Eine Kulturgeschichte», «Schlafender Lotos, trunkenes Huhn. Kulturgeschichte der chinesischen Küche», «Windgeflüster. Chinesische Gedichte über die Vergänglichkeit» sowie «Die chinesische Schrift. Geschichte, Zeichen, Kalligraphie».

1. Landschaften und Routen


Erscheinungsbild, Flora und Fauna der Regionen, die von der Seidenstraße durchzogen werden, sind ausgesprochen abwechslungsreich und vielgestaltig. Vor allem aber erschweren schroffe, eisbedeckte Berge und scheinbar endlose Wüsten das Fortkommen. Zonen, die von sengender Hitze und von klirrender Kälte geprägt sind, wechseln miteinander ab.

Natürliche Barrieren


Einige der Bergketten, an denen sich der Routenverlauf zu orientieren hatte, müssen einst nahezu unüberwindbar erschienen sein. Steil aufragende Wände, zerklüftete Hänge, riesige Geröllfelder und ewige Gletscher bilden zweifellos Barrieren, die dem Menschen noch heute Respekt einflößen. Immerhin erreichen nicht wenige unter den Gipfeln von Karakorum, Kunlun, Hindukusch, Tianshan und Pamir eine Höhe von mehr als 7000 m. Zum nordwestlich an den Himalaya anschließenden Karakorum zählt gar neben drei weiteren Achttausendern der K 2, das zweithöchste Massiv der Erde.

Zwar verlaufen die Routen im Allgemeinen deutlich unterhalb der Gipfelzonen, doch stellt die Überquerung der Gebirgszüge gleichwohl gewaltige Anforderungen an körperliche Kondition, Psyche und Planung; denn ehrfurchtgebietende Höhen erreichen auch die über weite Teile des Jahres eis- und schneebedeckten Pässe: darunter der Karakorum (5575 m, im gleichnamigen Gebirge), der Khunjerab (4733 m, ebendort) und der Torugart (3752 m, im Tianshan).

Ähnlich unwegsam wie die Bergregionen waren – und sind bis heute – jene Gebiete, in denen (klimatisch bedingte) Dürre und (nicht zuletzt durch menschliche Eingriffe verursachte) Desertifikation zu einer dramatischen Verknappung des Wasserhaushalts und einer dauerhaften Schädigung der Vegetationsdecke führen. Viele Plateaus, Becken und Senken weisen einen ariden oder semiariden Charakter auf und sind Bestandteile eines Trockengürtels, der von Nordafrika bis nach Ostasien reicht; hierzu zählt mit der Gobi auch die zweitgrößte Wüste der Erde.

Tab. 1: Hochgebirge im Bereich der Seidenstraße (Auswahl).

Die Taklamakan bildet das Zentrum des im Norden, Westen und Süden von Hochgebirgen eingerahmten Tarim-Beckens und ist die zweitgrößte Sandwüste der Erde. Etwa 85 % der Gesamtfläche besteht aus Wanderdünen, die eine Höhe von mehr als 200 Metern erreichen können und die Weite der Landschaft plastisch gliedern. Die jährliche Niederschlagsmenge liegt teilweise unter 50 mm und reicht ohne anderweitige Wasserzufuhr nicht aus, um eine landwirtschaftliche Nutzung zu ermöglichen. Die zahlreichen Flüsse, die sich aus dem Schmelzwasser der umliegenden Bergregionen speisen, versiegen meist relativ rasch, nachdem sie die Ebene erreicht haben. Die Verdunstungs- und Versickerungsraten sind einfach zu hoch bei Temperaturen, die im Sommer oftmals über 60 Grad liegen. Vor allem in der Zeit von Mai bis August treten auch die gefürchteten Sand- und Staubstürme auf, die, bevorzugt am Nachmittag, eine Geschwindigkeit von mehr als 20 m/s erreichen können und das Leben von Mensch und Tier bedrohen.

Tab. 2: Trockengebiete im Bereich der Seidenstraße (Auswahl).

Der Sand, den der Wind in der Taklamakan über weite Entfernungen transportiert, ist je nach Region gelb, grau oder bräunlich. In der Karakum und in der Kizilkum weist er hingegen auch eine schwarze bzw. rote Färbung auf, ein Umstand, auf den die Namensgebung der beiden Wüsten (türk.kara «schwarz»;kizil «rot»;kum «Sand») zurückzuführen ist. Die Karakum liegt übrigens bis zu 81 m unter dem Meeresspiegel; ihren tiefsten Punkt erreicht die Seidenstraße allerdings in der Turfansenke, die (mit 154 m u. M.) die zweittiefste Depression der Erde bildet.

Abb. 1: Wegmarkierung aus Tierknochen in der Gobi (Aufnahme aus dem Jahr 1934).

Sind die Sommer in den Trockengebieten im Allgemeinen von sengender Hitze geprägt, so zeichnen sich die Winter durch strengen Frost aus. In der Gobi reichen die Temperaturen bis 35 Grad, in der Karakum gar bis 40 Grad unter dem Gefrierpunkt. Die Unbilden, welche die häufig bereits im September einsetzenden Kältewellen mit sich bringen können, schildert das im 8. Jahrhundert von Cen Can verfasste «Lied vom Schnee». Sehr anschaulich sind darin die (im Folgenden auszugsweise wiedergegebenen) Eindrücke geschildert, die der chinesische Beamte während seiner Tätigkeit in den Garnisonsstädten am Nordrand des Tarim-Beckens sammelte:

Wenn der Nordwind den Boden durchfurcht,

ducken sich die Steppengräser.

Sobald der Herbst anbricht,

treibt Schnee durch das Barbarenland.

Die Wärme, die der Fuchspelz spendet, reicht nicht mehr,

und reichlich dünn ist nun die Decke aus Brokat.

Tief in den Grund gefriert die Wüste,

die Wolken formen mächtige Barrieren.

Dicht wirbeln Flocken durch die Dämmerung,

Schnee weht an die Tore.

Dem Zerren des

Cover1
Titel3
Zum Buch2
Über den Autor2
Impressum4
Inhalt5
Vorwort7
1. Landschaften und Routen9
Natürliche Barrieren9
Transportkapazitäten13
Versorgung in der Fremde16
Die Hauptrouten20
Der Seeweg23
2. Fromme Mönche und fremdeTeufel27
Buddhistische Pilger28
Sendboten der Christenheit31
Muslimische Reisende35
Abenteurer und Forscher37
3. Sprache und Identität43
Antike Zeugnisse43
Sprachbarrieren46
Übersetzer und Dolmetscher48
Vorurteile und Stereotypen51
Selbstzuordnung und Fremdwahrnehmung53
4. Staaten und Konföderationen56
Der Sohn des Himmels56
Das Abbild Gottes60
Der Befehlshaber der Gläubigen61
Der Weltenherrscher64
Zwischen Autonomie und Despotie66
5. Handel undTribut70
Die Kaufleute70
Chinesische Luxusgüter72
Exotisches für das Reich der Mitte76
Zahlungsmittel80
Der Tribut82
6. Pilger und Propheten87
Der Buddhismus87
Zoroastrismus und Manichäismus91
Judentum und Christentum95
Der Islam97
7. Kunst und Erfindergeist101
Monumente des Glaubens101
Künstlerische Ausdrucksmittel103
Minarette und Miniaturen106
Papier und Drucktechnik108
Wissenstransfer110
Profite und Visionen: Eine Schlussbemerkung zur aktuellen Situation114
Weiterführende Literatur119
Register123
Zeittafel126
Karte128