1. KAPITEL
Rom …
Die Stadt der Liebe.
Lydia Hayward lag in ein Handtuch gewickelt auf dem Bett ihrer Hotelsuite und dachte über die Ironie des Schicksals nach. Ja, sie war in Rom und traf sich heute Abend mit einem sehr begehrenswerten Mann, aber Liebe war dabei ganz bestimmt nicht im Spiel.
Es ging eher ums Geschäft.
Woraus natürlich niemand einen Hehl gemacht hatte.
Ihre Mutter hatte sich neulich auf Lydias Bettkante gesetzt und ihr erklärt, dass sie ohne das gewaltige Vermögen dieses Mannes alles verlieren würden. Womit sie das Schloss meinte, in dem sie lebten und das ihren Lebensunterhalt gewährleistete. Valerie hatte dabei natürlich mit keinem Wort gesagt, dass Lydia mit dem Mann würde schlafen müssen, mit dem sie und ihr Stiefvater heute verabredet waren.
Was Valerie jedoch gefragt hatte, war, ob Lydia die Pille nahm. „Du willst doch nicht etwa deinen Urlaub ruinieren?“, hatte sie ihre Frage begründet.
Doch seit wann interessierte ihre Mutter sich für solche Dinge? Lydia war früher schon einmal in Italien gewesen, als Siebzehnjährige auf Klassenreise. Damals hatte ihre Mutter ihr keine solche Frage gestellt.
Außerdem – warum sollte Lydia die Pille nehmen? Schließlich hatte man ihr immer nahegelegt, sichaufzusparen.
Und genau das hatte sie getan.
Allerdings nicht, weil ihre Mutter ihr dazu geraten hatte, sondern weil es ihr schwerfiel, ihre kühle, abweisende Maske abzulegen. Viele Menschen hielten sie für hochmütig und arrogant. Doch Lydia war es lieber, arrogant zu wirken, als sich verletzlich zu zeigen.
Und bisher war sie mit dieser Strategie gut gefahren. Insgeheim sehnte sie sich zwar nach Liebe, aber dieses Glück schien ihr nicht vergönnt zu sein, zumindest nicht mehr in diesem Leben.
Denn sie wusste: Heute Abend würde man sie wie zufällig mit diesem Mann allein lassen.
Als ihr Handtuch verrutschte, bedeckte Lydia sich sofort wieder, obwohl niemand bei ihr im Zimmer war. Sie stand kurz vor einer Panikattacke! Dabei hatte sie keine mehr gehabt seit …
Rom. Oder war es Venedig gewesen? Oh Gott, diese schreckliche Klassenfahrt!
Sie hatte nur Ja zu der jetzigen Italienreise gesagt, weil sie gehofft hatte, damit die Gespenster der Vergangenheit vertreiben zu können. Dass Rom ihr in einem völlig neuen Licht erscheinen würde, jetzt, wo sie erwachsen war. Doch sie hatte feststellen müssen, dass die Welt ihr heute genauso viel Angst machte wie damals als Teenager.
Reiß dich zusammen, Lydia!
Also riss sie sich zusammen, stand auf und zog sich an.
Um acht war sie mit ihrem Stiefvater Maurice zum Frühstück verabredet. Um sich nicht zu verspäten, kämmte sie sich rasch das frisch gewaschene und an der Luft getrocknete lange blonde Haar. Sie hatte sich gestern ein taupefarbenes Leinenkleid mit Knöpfen vom Ausschnitt bis zum Saum gekauft, aber so wie ihr die Hände zitterten, war das anscheinend keine gute Entscheidung gewesen.
Sie erwarten von dir bestimmt nicht, mit ihm zu schlafen!
Lydia versuchte sich einzureden, wie lächerlich diese Vorstellung war. Sie würde heute Abend nur etwas mit diesem Mann trinken, sich anschließend höflich für seine Gastfreundschaft bedanken und ihm erklären, dass sie mit einer Freundin verabredet war. Arabella wohnte nämlich inzwischen hier in Rom und hatte vorgeschlagen, sich mal zu treffen.
Eigentlich …
Lydia griff nach ihrem Handy und tippte rasch eine Nachricht ein.
Hi Arabella,
bin mir nicht sicher, ob du meine Nachricht bekommen hast. Bin jetzt in Rom und habe heute Abend Zeit für ein Treffen, falls du Lust hast.
Lydia
So, und jetzt musste sie zum Frühstück.
Lydia verließ ihre Suite