Dämonenkind – Anton Vogel
Mehrere hundert Menschen drängten sich in der Kirche des Franziskanerklosters zusammen. In ängstlicher Erwartung, dass die Wolkenbrüche über Dornstadt endlich verebbten – die schlimmsten Sommerunwetter seit Menschengedenken.
Dieses Jahr – die Geistlichkeit zählte es als das Jahr des Herrn 1342 – war wahrhaftig keine Gnadenzeit, sondern eine Strafe des Himmels mit unabsehbarem Ende. Seit Mitte des vorangegangenen Monats, des Brachmondes, brannte die Sonne erbarmungslos aus einem wolkenlosen Blau. Gelb und grau sank das Getreide auf die gesprungene Erde der Wölbäcker: dieses wenige Korn, das den ungewöhnlich kalten, nassen und zeitweilig sogar schneereichen Frühling zu überstehen vermochte. Mit den immer notwendigeren und zugleich immer selteneren Getreidefuhren kam das Gerücht, von Osten – aus Tartarien und dem Mongolenland – seien Heuschreckenschwärme in viele Gaue der Christen eingefallen. Wie bald würde diese Plage auch das Herrschaftsgebiet des Bischofs und der wenigen noch mit ihm streitenden Adelsfamilien verheeren?
Das Weltende mehrte seine Vorzeichen. Scharen erstickter Fische trieben in Tümpeln und geschrumpften Flussrinnen des Mains. Gestank durchwehte die Stadt, Fliegengeschwader verdunkelten den Himmel. Bis über Fäulnis, Not und Siechtum der Himmel selbst sich zuzog, taubenblaue, gespensterweiße und schwefelgelbe Gewitterwolken in den Lüften dräuten und die Tage in unheilschwangeres Dunkel tauchten.
Dann fiel der Regen.
Bald strichelte er die Luft mit glasigen Wasserfäden, bald verdichtete er sich zu brausend prasselnden Kaskaden. Eine Weile knisterten Tropfen wie durchsichtiger Sand herab, um wenig später erneut in tosenden Güssen auf die Erde einzuschlagen und in einen Tanz von Hagelschloßen überzugehen. Doch waren es nicht die himmlischen Sturzfluten, die zu Dornstadt, im linksmainischen Viertel jenseits der Brücke, in Vorstädten und umliegenden Weilern Hab und Leben hinwegrissen, auch wenn der Fluss innerhalb weniger Tage bis zu den Uferkanten anschwoll. Es zeigte sich so bedrohlich wie um Ostern, als Regen und Schneeschmelze den Pegel schon bis nahe ans Tor steigen ließen. Doch die hartgebackenen Hügel der Äcker, die ausgetrocknete Krume der Weinberge, deren Reben ebenso dürr am Stock hingen wie das Getreide am Halm, die Anhöhen rund um die Stadt, sie alle konnten diese Regenmassen in so kurzer Zeit nicht aufnehmen. Wie bei Noahs Sintflut schien der Grund das Wasser aus all seinen Kammern zu speien. Durch Schluchten, die frühere Bodeneinstürze in die entwaldeten, von keinem Wurzelwerk mehr gefestigten Hügel gerissen hatten, wälzten sich Lawinen gelbbrauner Schlammbrühe zum Main. Sie vereinten sich mit dem aus weiter Entfernung anrauschenden Hochwasserschwall zu einem Strom, der alles niederdrückte, beiseite walzte, fortstrudelte, ertränkte und zermalmte, was sich ihm in den Weg stellte.
Vergebens läuteten Glocken aller Kirchen gegen die tobenden Gewalten der Natur. Vergebens setzte sich der Bischof selbst an die Spitze einer Prozession, die dem Banne der Todeswasser galt. Gerade noch rechtzeitig gelang es dem geistlichen Herzog, sich in seine Sänfte zu retten und durch die panische Menschenmenge hinauf zu seinem Palast auf dem Marienberg fortgetragen zu werden, ehe die Flutwelle in die Gassen kroch und an den Hauswänden empor schwappte. In himmelhoch reichendem Nebel aus Sprüh und Staub stürzte die steinerne Brücke in den Main und staute noch zusätzlich das Wasser, das Kähne gegen die Stadtmauer schrammen ließ. Nicht lang, da brach auch die unterspülte Befestigung des Sandviertels mit Türmen, Zi