Zweites Buch
Inhaltsverzeichnis
Kap. I. (§ l.) Als hier Beide mich ansahen und zum Hören sich bereit zeigten, so sagte ich: Zunächst habe ich die Bitte, dass Ihr mich nicht für einen Philosophen haltet, der Euch sein System erklären und lehren will; ich kann dies nicht einmal bei einem wirklichen Philosophen loben denn wenn hat wohlSokrates, der mit Recht der Vater der Philosophie genannt werden kann, dergleichen gethan? Nur bei den damaligen sogenannten Sophisten war dies Sitte, von denen einer, der LeontinerGorgias, zuerst es wagte, in Zusammenkünften eine Frage zu fordern, womit er wollte, man solle den Gegenstand angeben, über den man ihn hören wolle. Ein dreistes Treiben, was ich unverschämt nennen würde, wenn diese Sitte nicht später auch auf unsere Philosophen übergegangen wäre. (§ 2.) Aber sowohl den erwähnten Sophisten wie die andern sehen wir vonSokrates verspottet, wie man ausPlato entnehmen kann. Er pflegte durch Ausforschen und Fragen von Denen, mit welchen er sich besprach, ihre Meinungen herauszulocken, um auf das, was sie zur Antwort gaben, zu entgegnen, so weit es ihm passend schien. Die Spätern hatten diese Sitte nicht beibehalten, alleinArcesilaus führte sie wieder ein, aber so, dass die über das, was sie hören wollten, ihn nicht ausfragen, sondern selbst ihre Meinung aussprechen mussten. War dies geschehen, so entgegnete er, während seine Zuhörer nach Möglichkeit ihre Meinung vertheidigten. Bei den übrigen Philosophen schwieg dagegen Der, welcher nach etwas gefragt hatte, und schon in der Akademie war dies der Fall. Wenn hier ein Zuhörer sagte: Die Lust scheint mir das höchste Gut zu sein, so wird in fortlaufender Rede dagegen gesprochen, so dass man leicht bemerkt, wie Die, welche eine solche Behauptung aufstellen, nicht selbst dieser Ansicht sind, sondern nur die Widerlegung hören wollen. (§ 3.) Ich werde es zweckmässiger machen. Torquatus hat nicht blos seine Ansicht ausgesprochen, sondern auch die Gründe dafür; wenn ich nun auch mich an seinem fortgehenden Vortrag sehr ergötzt habe, so halte ich es doch für passender, bei den einzelnen Punkten anzuhalten und zu hören, was Jeder einräumt oder bestreitet; dann kann man aus dem Zugestandenen die nöthigen Folgerungen ziehen und so zu einem Ergebnisse gelangen. Wenn aber die Rede gleich einem Strome fortläuft, so reisst sie zwar Vieles und Mancherlei mit sich fort, aber man kann nichts festhalten, nichts tadeln und nirgends den Redefluss zum Stehen bringen. Jede mit einer Untersuchung befasste Rede, die festen Schrittes und vernunftgemäss vorschreiten will, muss zunächst angeben, wie es bei den Klageformeln geschieht, »diese Sache soll verhandelt werden«, damit die Theilnehmenden sich zunächst darüber vereinigen, was das sei, worüber man sprechen wolle.
Kap. II. (§ 4.) Diese vonPlato im Phädrus aufgestellte Regel hat Epikur gebilligt; er meint, dass bei jeder Erörterung dies geschehen müsse. Allein das Nächste hat er nicht gesehen; denn er mag von Distinctionen nichts wissen, obgleich doch ohnedem es oft kommen kann, dass die Streitenden selbst nicht wissen, worum es sich handelt, wie dies auch bei unserer Erörterung der Fall sein dürfte. Wir suchen das höchste Gut; aber können wir das erkennen, bevor wir unter uns, die wir vomhöchsten Gut sprechen, nicht fe