Zweites Kapitel.
Das Ehrenwort
Vor dem langen Kaliban in seiner Wolljuppe, der eben mit der Schneeschippe einen Weg bahnt schnurgerade vom Tor zur Ruine, steht ein schokoladebrauner Lakai mit einem Billett und schnarrt: »Sogleich abgeben.« Der Kaliban nimmt das Billett in seine hornenen Riesenhande und geht zu der Türe und damit sofort ins Innerste des Thorsteiner Schlosses. Der Haus- und Schloßherr hantiert an seiner Staffelei mit farbigen Kreiden auf einem großen grauen Tonbogen. Auf seiner Stirne entsteht eine senkrechte Falte, als er den Brief liest. Es ist eine in die liebenswürdigsten Worte gekleidete Einladung zu der heutigen Weihnachtsbescherung... »Meine Kleine scheint Ihr Kommen sehr zu erhoffen.« Der lange Thorsteiner dreht die Karte in grimmiger Verlegenheit in den Händen. »Donnerwetter.... mein alter grünschwarzer Rock da drüben!« Seine Hand fährt in seinen kurzen braunen Lockenschopf. »P. S. Wir werden nach der Bescherung ganz unter uns sein ...« Und zwischen den Zeilen sehen ihn bittende Augen an. »Da ist nichts zu wollen,« murmelt er, »... trotz dem Schwarzgrünen.« Und mit seinen langen Schritten eilt er hinaus in den Hof, wo der Schokoladebraune, mit der dieser Menschenrasse eigentümlichen Mischung von Verachtung und Herablassung, sich mit dem Kaliban zu verständigen sucht. Vor der hohen Gestalt des Grafen schnellt er aber sofort in seine korrekte Haltung zurück.
»Melden Sie Seiner Durchlaucht, daß ich kommen werde.«
Denn der Thorsteiner gibt sich nicht unnötig mit Papier und Tinte ab. Kaum ist der Schokoladene verschwunden, so ruft er mit Donnerstimme:
»Märt, die Kiste 4 + 6.« Was den musikalischen Brunnen zu einem beifälligen Gemurmel veranlaßt. Denn Kaliban ist schwerhörig.
Früher, als sein Übel sich noch nicht so fühlbar machte, war er Bursche gewesen bei des Grafen Vater, dann war er Bauernknecht geworden, und obgleich ihn seine Herren wegen seiner Riesenkräfte und seiner treuen Arbeit wohl schätzten, hatte seine zunehmende Schwerhörigkeit es ihm immer schwerer gemacht, mit seinen Mitknechten auszukommen. Er wurde gehänselt, oder kam sich so vor, – ein kleines rotköpfiges Minele wollte nur Spott mit seiner scheuen Liebe treiben, und so wäre er, den seine Riesenkräfte und sein schnell auflodernder Zorn fast zu einem gefährlichen Menschen machten, schier in eine schlimme Sache hineingekommen.
Eines Abends, als er in der halbdunkeln Scheune saß, neben dem letzten noch nicht abgeladenen Heuwagen, und zu seinem immer mehr umsponnenen Ohr die gedämpften Stimmen der Knechte und Mägde drangen, wie sie schäkerten und lachten, und er die hohe Stimme des roten Minele und die krähende des schönen Beckenkarl und dazu seinen Namen zu verstehen glaubte, da hatte sich sein einsamer dumpfer Schmerz plötzlich in einen aufsteigenden heißen Zorn verwandelt.
An dem Abend war er nicht zum Nachtmahl erschienen, und die Nacht hatte ihm einen furchtbaren Traum gebracht. Die Hecke mit den alten Eichenknüppeln, einen Menschen auf dem Gesicht in einer roten Lache liegend, daneben steht seine alte Mutter mit der schwarzen Florhaube, das große silberbeschlagene Gesangbuch im Arm, ganz so, wie sie ihm sein Erinnerungsguckkasten am liebsten zeigt, und hebt entsetzt ihre Hände auf.
Am andern Morgen hatte er seinen Dienst gekündigt mit so wilden Gebärden, daß der Bauer den unheimlichen Menschen trotz der dringenden Arbeit hatte ziehen lassen. Er war dann in seine Heimat gegangen, obgleich er das alte Mütterlein nur an dem Hügel mit dem schwarzen Holzkreuz darauf besuchen konnte, und hatte getaglöhnert. Ein finsterer und unzugänglicher Geselle, dem die Kinder scheu aus dem Wege liefen.
Da war er eines Tages im Holzschlag dem Sohn seines früheren Herrn begegnet, der mit seiner Staffelei vor einer Waldwiese saß. Der hatte ihn sofort erkannt und ihn freundlich angeredet. Die Stimme erweckte die schönsten Erinnerungen aus seiner Dienstzeit, wo er noch ein ganzer Mensch, ein vorzüglicher Soldat gewesen war. Wenige Tage darauf erschien er nach Feierabend in der Ruine und begann an einem Steinhaufen abzutragen, Schutt auszulesen und ihn in den tiefen Graben zu werfen. Als der Graf heraustrat, grüßte er militärisch und fuhr in seiner Arbeit bis zum Dunkelwerden fort. Eine Belohnung wollte er nicht dafür annehmen, da es nach Feierabend sei. So war er eine Zeitlang gekommen, kaum daß er einen Trunk oder ein Stück Brot dafür annahm. Es schien ihm zu genügen, daß er nur in der Nähe eines Menschen war, der ihn in seiner früheren guten Zeit gekannt.
Nun hatten aber bald einige günstig angebrachte Entwürfe den Herrn in den Stand gesetzt, für einige Zeit einen eigenen Taglöhner halten zu können. Da zimmerte sich der Märt aus noch wohlerhaltenen Balken, wie sie zuweilen doch aus dem Schutt hervorkamen, eine kühne spindelige Treppe vom Schutthügel aus bis zu einer Mauerlücke im Bergfried, die er verbreiterte, so daß er sich mühsam hineinzwängen konnte. Die Wendeltreppe führte noch hinauf zu einem Stübchen, in dem ein Taubenschlag gewesen war. Dort richtete er sich ein mit einem weißen Taubenpärchen, das er zärtlich liebte. In diesem etwas luftigen Ort hauste er nun, und an Sonntagen hämmerte, klopfte und bastelte er daran herum. Die Tauben bekamen ihr gesondertes Quartier; die Fensterluken aus alten bleigefaßten Scheibenstücken, die sich in Resten noch vorfanden, ergaben eine primitive Verglasung. Dann schaffte er, nicht ohne lebensgefährliche Turnkünste, s