1. KAPITEL
Früher war mir das schwarze eiserne Gittertor das Liebste am Haus.
Als ich noch jünger war, erinnerte es mich an geheime Gärten und versteckte Schätze, an all die großen Rätsel, die ich aus Kinderbüchern kannte.
Der ganze Zaun war wie aus dem Märchen. An manchen Stellen kletterten Pflanzen empor, Efeu und Unkraut umrankten die Stäbe, und wenn er bei Gewitter rings um das Haus aufleuchtete, bildete er einen scharfen Kontrast zur Dunkelheit.
Und wir waren drinnen.
Es war besser, den Zaun von dort aus zu betrachten, auf dem Weg nach draußen. Als ich älter wurde, begann ich ihn mit anderen Augen zu sehen. Von der anderen Seite, durch einen anderen Filter. Wenn ich im Hinausgehen einen Blick über die Schulter warf, sah ich nur die Kameras über den Eingängen. Die sterilen, kompakten Mauern des dahinterliegenden Hauses. Den Schatten hinter dem getönten Fenster.
Lange war mir nicht klar, dass genau darin das Geheimnis lag.
Trotzdem hatte der Eisenzaun etwas Vertrautes, und wenn ich morgens an ihm vorbeiging, musste ich ihn unwillkürlich berühren, ein banaler Abschied, wenn ich in den Tag aufbrach. Im Sommer waren die Stäbe heiß von der Sonne. Und im Winter, wenn ich meinen Wollmantel trug, spürte ich manchmal einen Funken unter der Kälte, als könnte ich den Strom fühlen, der oben hindurchfloss.
Aber meistens gab er mir ein Gefühl von zu Hause.
Als ich heute die Hand zurückzog, war sie feucht vom Morgentau. Alles glitzerte in der Sonne, die hinter den Bergen aufging.
Da ich mich jetzt jenseits des Zauns befand und weil ich am Fenster den Schatten meiner Mutter sah, galt es einen strikten Ablauf einzuhalten:
Vor dem Aufschließen der Autotür einen Blick auf die Rückbank werfen.
Den Motor starten und bis zwanzig zählen, damit er gleichmäßig lief.
Meiner Mutter winken, die mich aus dem Fenster beobachtete.
Mit beiden Händen am Steuer von der Kiesauffahrt rollen und dann über die gewundenen Bergstraßen in die Schule fahren.
Der Rest des Tages bestand aus abzuhakenden Stunden, einem altbekannten festen Ablauf. Man konnte diesen Mittwoch gegen jeden anderen tauschen, niemand hätte es bemerkt. Meiner Mutter zufolge bedeuteten feste Abläufe Sicherheit, aber ich sah das etwas anders. Feste Abläufe ließen sich lernen, sie waren vorhersehbar. Aber so etwas durfte man nicht aussprechen. Man durfte es noch nicht mal denken.
Der Rest meiner Mittwochsroutine ging so:
Früh genug in der Schule ankommen, um einen Parkplatz neben einer Straßenlaterne zu ergattern, da ich erst spät wieder losfahren würde. Den vollen Flur meiden und hoffen, dass Mr Graham das Klassenzimmer schon früh aufsperrte. Vor dem Matheunterricht auf meinem Platz in der letzten Reih