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Vivi
Ich wusste sofort, dass ich mich in Verona Cove verliebt hatte, aber erst am siebten Tag konnte ich mich dazu bekennen. Nach einer Woche schnitzte ich also meinen Namen in einen großen Baum in der Ortsmitte. Mir war nicht klar, wie schwierig es ist, mit dem Taschenmesser eine harte Rinde zu durchbohren: Ich habe eine Ewigkeit für nur elf Buchstaben gebraucht. Zum Glück patrouilliert die Polizei nicht im Irving Park, bevor die Sonne aufgeht, und auch sonst nirgends. In Verona Cove wirft höchstens mal jemand eine Papierserviette weg, das vermutlich schwerste Verbrechen, das hier je begangen wurde. Und ich wette, dieser Jemand hat einfach die Serviette fallen lassen und ist ihr dann verzweifelt nachgejagt, aber der Wind hat sie fortgerissen, bis sie irgendwo zu Müll wurde.
Außerdem reizt mich der Gedanke, erwischt zu werden, oder würde ich mich sonst mit rissigen Buchstaben für immer in einem Baum verewigen, der älter ist als alle 3051 Einwohner von Verona Cove zusammen?Vivi war hier.
Als ich fertig bin, tätschle ich mein Werk, weil – okay, ja, ich bin eine Umweltzerstörerin, aber das hier ist ein Verbrechen aus Leidenschaft. Und dem Park macht es nichts aus, das weiß ich, weil ich das alles hier liebe, und ich glaube, selbst der megaordentlich gemähte Rasen und die beschilderten Bänke spüren meine Zuneigung.
Ich verlasse den Park und merke erst jetzt, dass ich viel später dran bin als sonst. Die Morgensonne ist bereits über den Horizont gekommen und die Blätter werfen Schatten so zart wie Seidenspitze auf den Gehsteig. Überall sprießen Blumen, aus jedem Quadratzentimeter des Ortes – fuchsienrote Rosen, die über die Spaliere kriechen, Forsythien, funkelnd wie gelbe Leuchtraketen. Während ich den Weg entlangschlendere, ziehen sich die Bäume über mir aus und streifen blassrosa Blütenblätter ab wie in einem langsamen Burlesquetanz.
Deshalb will ich für immer hierbleiben, nicht nur den Sommer über. Bisher habe ich Mom gegenüber immer behauptet, dass Hawaii im Vergleich zu Verona Cove wie eine schwimmende Müllhalde aussieht. Also streng genommen war ich noch nie in Hawaii, aber ich habe Fotos davon gesehen. Verona Cove ist ein winziger Ort, den man wohl eher irgendwo in Massachusetts oder North Carolina suchen würde, der sich aber stattdessen in eine kleine Bucht an der kurvigen kalifornischen Küste schmiegt. Ich habe schon in mehreren Städten gelebt, und Verona Cove ist keine, so viel steht fest, sondern eher eine Mischung aus Kleinstadtidylle, Regenwald und Shangri-La. Jedes Detail ist so perfekt, dass man sich an ein Filmset versetzt fühlt, und ich würde am liebsten meine Hände über die bemalten Gartenzäune gleiten lassen, die Retro-Briefkästen, die Straßenlaternen, die wie eine lange Reihe schimmernder weißer Monde aussehen. Alles ist sauber, aber nicht steril, man spürt, dass jeder noch so winzige Fleck an diesem Ort bewohnt und geliebt wird.