Österreich, 1938
Zu Beginn wusste Christoph nichts über die Kraft des Stichels. Er verstand nicht, dass das kleine Gravurwerkzeug sie am Ende retten konnte. Oder umbringen. Er wusste bloß, dass man mit dem Stichel nicht sauber arbeiten konnte. Er eignete sich nicht für Stahl, nur für Leinwand.
Es gefiel ihm nicht, wie er in seiner Hand lag. Ungewöhnlich schwer, kaum zu beherrschen. Er hätte sich gewünscht, damit so leicht Linien ziehen zu können wie mit einem Pinsel oder einem Stück Kreide, doch er blieb ständig hängen. Es frustrierte ihn, dass er den Stahl nicht so elegant bearbeiten konnte wie sein Lehrmeister Friedrich.
Vielleicht würde Friedrich ihn ja hinauswerfen? Dann müsste er sich nicht nur eine neue Arbeit, sondern auch eine neue Unterkunft suchen. Als Lehrling von Friedrich bekam Christoph Kost und Logis bei der Familie Faber in deren wunderschönem Haus außerhalb von Großenburg – und zusätzlich noch fünf Schilling die Woche.
Was allerdings noch wichtiger war, er bekam die Gelegenheit, das Handwerk zu erlernen, für das Friedrich Faber in ganz Österreich bekannt war: die Briefmarkengravur. Sein größtes Werk war die beliebteste und nach Christophs Meinung auch die künstlerisch wertvollste Briefmarke des Landes, die 12-Groschen-Edelweiß. Die Marke zeigte eine atemberaubende Darstellung der schönen weißen Blume. Friedrich hatte sie im Jahr 1932 sowohl entworfen als auch graviert.
Christoph erinnerte sich genau daran, wie er diese Marke einmal auf einen Brief an seine Mutter geklebt, diesen jedoch nie abgeschickt hatte. Man konnte keine Briefe an Menschen schicken, die es nicht gab oder deren Aufenthaltsort trotz aller Mühe nicht zu ermitteln war. Schon mit dreizehn hatte Christoph die Schönheit der Marke bewundert, die perfekten Schwünge der Blütenblätter.
Er hatte immer davon geträumt, seinen Lebensunterhalt als Künstler zu verdienen. Als er im vorigen Herbst von einem anderen Straßenkünstler in Wien gehört hatte, dass Friedrich Faber,der Friedrich Faber, einen neuen Lehrling suchte, hatte er sein Arbeitszeug zusammengepackt und sein Erspartes für die zweihundert Kilometer weite Fahrt nach Großenburg geopfert. Als er dort angekommen war, hatte er Friedrich davon überzeugt, ihm die Stellung zu geben, indem er ihm einige seiner Kreidezeichnungen von Wien vorlegte.
»Du hast ein gutes Auge«, hatte Friedrich gesagt, als er das Werk betrachtete, das Christoph für sein bestes hielt. Den Stephansdom, herausgearbeitet in feinstem Detail. Friedrich hob eine seiner grauen Augenbrauen. »Aber was verstehst du von Stahl, mein Junge?«
»Ich lerne schnell«, hatte Christoph darauf geantwortet, und das schien Friedrich überzeugt zu haben.
Leider hatte sich bald herausgestellt, dass das nicht stimmte, jedenfalls, was das Gravieren anging.
Den Umgang mit dem Grabstichel beherrschte Christoph noch lange nicht, aber wenigstens zwei Dinge hatte er in den ersten paar Wochen begriffen. Erstens: Friedrich war älter, als Christoph i