: Marlon James
: Der Kult Roman
: Heyne
: 9783641201449
: 1
: CHF 16.20
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: Erzählende Literatur
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Teufel kämpft nicht mit fairen Mitteln
Im Dorf Gibbeah beginnt der Sonntag mit einem bösen Omen: Während der Morgenmesse fliegt ein Geier durch das geschlossene Kirchenfenster und schlägt tot auf der Kanzel auf. Nur wenige Minuten später wirft ein schwarz gekleideter Fremder den Dorfprediger zu Boden und übernimmt die Kontrolle über die Gemeinde. Als selbst ernannter Apostel York predigt er Rache und Verdammnis. Doch der alte Prediger weigert sich, seinen Platz widerstandslos abzugeben. Ein gnadenloser Glaubenskampf beginnt. Das Dorf scheint dem Untergang geweiht.

Marlon James wurde 1970 als Sohn zweier Polizeibeamter in Kingston geboren. Mehr als zehn Jahre arbeitete er als Werbetexter und Grafikdesigner, u.a. für den Dancehall-Musiker Sean Paul und das 'T-Magazin' der 'New York Times'. Bei einem Literaturworkshop in Jamaika wurde eine Dozentin der Wilkes University Pennsylvania auf James aufmerksam und verschaffte ihm ein Masterstudium in Kreativem Schreiben sowie eine Assistentenstelle. Sein erster Roman 'Der Kult' erntete über siebzig Ablehnungen, ehe er einen Verlag fand und in der Folge als bestes Debüt für den 'Los Angeles Times Book Prize' und den 'Commonwealth Writers' Prize' nominiert wurde. Für sein 2009 erschienenes Nachfolgewerk 'The Book of Night Women' über eine Revolte jamaikanischer Sklavinnen während der Kolonialzeit erhielt James den 'Dayton Literary Peace Prize' und den 'Minnesota Book Award'. Sein dritter Roman 'Eine kurze Geschichte von sieben Morden', wurde ebenfalls vielfach ausgezeichnet. Als erster Jamaikaner erhielt James den 'Man Booker Prize'. Er lebt heute in Minneapolis, Minnesota.

DER RUMPREDIGER

Wir wollen dir vom Rumprediger erzählen. Selbst wenn du nie in der Gegend gewohnt hast, hast du sicher vom Rumprediger gehört. Nach sechs Jahren sind falsche Geschichten und wahre Geschichten so miteinander vermischt, dass beide gut klingen. Die Leute glauben, dass alles zur Hölle gegangen ist, nachdem sich der Teufel Lillamae Perkins’ bemächtigt hat, aber wenn du Pastor Hector Bligh von der Heilig-Grab-und-Evangeliums-Kirche des Apostels Thomas gekannt hättest, dann wüsstest du, dass er schon lange zuvor auf dem Weg zur Hölle war.

Bevor Pastor Bligh nach Gibbeah kam, hat niemand von uns je einen Mann Gottes trinken sehen. Angeblich steht im Zweiten Buch Johannes, Vers eins bis elf, dass Jesus Wasser in Wein verwandelt hat, also muss er auch Wein getrunken haben. Die drei Männer, die den lieben langen Tag draußen vor der Bar sitzen, sagen, dass er schließlich ein Mann gewesen sei und dass ein Mann das Recht hat, sich zu betrinken, so wie er das Recht hat, sich an den Eiern zu kratzen oder seine Frau zu verprügeln, wenn sie sich nicht benimmt, wie sich’s gehört.

Bligh hat getrunken, als würd’ das Trinken bald außer Mode kommen. Den ganzen Samstagabend ist er an der Bar gesessen, hat Rum getrunken und sich über anderer Leute Angelegenheiten ausgelassen, anstatt sich für die Kirche vorzubereiten. Und wenn’s dann Zeit war zu predigen, hat er nicht gewusst, was er sagen sollte. Wir hatten solche Predigten nie zuvor erlebt. Wenn Bligh betrunken war, hat man nur ein Murmeln gehört. Wenn Bligh nüchtern war, hat er sich angehört wie dieser verrückte Kapitän in dem Moby-Dick-Film, den sie im Majestic gezeigt haben. Der Pastor vor ihm, der hatte Feuer. Hector Bligh hat nichts gehabt außer Eis. Vielleicht war es unser Fehler, weil die Leute auf dem Land die Dinge eben nehmen, wie sie sind, als würd’ uns der weiße Mann verprügeln, wenn wir was ändern.

Lillamae.

Lillamae Perkins. Heute früh sind’s zwei Jahre, seit ihr Vater aufwachte und sofort gesehen hat, dass sein ganzes Bett rot war und Blut wie ein Springbrunnen da rausschoss, wo sein Penis mal gehangen hatte. Niemand hat gesehen, was geschehen ist, aber alle haben Lillamae gesehen, wie sie vor ihrer Gartentür gestanden und ausgesehen hat, als hätt’ man sie verhext, ein Messer in der einen Hand und den blutigen Schwanz in der anderen. Sie hat grüne Papayas gegessen, um das Baby loszuwerden.

Zwei Jahre später, es ist Sonntag, und Pastor Bligh ist wie immer betrunken. Er wirft sich in den Stuhl des Pastors neben der Kanzel, als würd’ er sonst auf den Boden knallen. Lillamae geht vor zum Altar, damit man ihr ihre Sünden und die Lasterhaftigkeit austreibt, obwohl der Pastor heute noch niemanden nach vorn gerufen hat.

Alle haben sie gehört.

»Herr Jesus Christus! Herr Jesus Christus! Verzehrendes Feuer! Verzehrendes Feuer! GOOOOOOOTT!!!«

Lillamae wirft sich auf den Boden. Ihre Beine werden zu einer Schere, sie macht sie auf, dann zu, dann wieder auf, und alle haben sie ihre fischige Pussy sehen können, weil sie kein Höschen angehabt hat. Dann hat sie Lucinda gesehen, die den Heiligen Jesus Christus angerufen hat.

»Was wird Jesus für dich tun, du Hafenhure? Der Satan hat von Anfang an gesehen, wie du den Tee gemischt hast«, sagt Lillamae. Die Leute schreien und rennen und fallen hin und treten aufeinander und schreien noch mehr, weil eine Männerstimme aus ihrem Mund gekommen ist, als sie ihn aufgemacht hat. Dann sieht sie den Pastor, und die Hölle bricht los. Fünf Diakone rennen zum Altar. Bei den Kirchgängern und auch den Sündern sind sie als »Die Fünf« bekannt.

»Ein Idiot,