Kapitel 2
Zwei Wochen nachdem sie Klimt in seinem Atelier besucht hatte, war einer dieser schönen Tage, die es nur in Wien gab, wenn es schon im Februar urplötzlich frühlingshaft warm wurde. Alma kam von der Klavierstunde nach Hause. Sie war froh, den Mantel ausziehen zu können, der ihr zu warm geworden war. Aus dem Arbeitszimmer ihres Stiefvaters hörte sie erregte Stimmen. Das Haus in der Theresianumgasse war ein beliebter Treffpunkt moderner Maler und Künstler, Literaten, Musiker und Architekten. In Molls Arbeitszimmer, zwischen den antiken Möbeln, war vor zwei Jahren die Wiener Secession gegründet worden, dessen Vizepräsident er war. Und in diesen Tagen schmiedeten die Herren Pläne zur Gründung einer Künstlerkolonie vor den Toren Wiens. Endlich konnte ihre Mutter ihr Talent als Gastgeberin ausleben, an der Seite des umtriebigen Carl Moll, den sie im Gründungsjahr der Secession geheiratet hatte. Alma hatte ihrer Mutter diesen Verrat noch nicht verziehen. Sie seufzte, als sie an ihren Vater dachte, diesen großherzigen Mann voller Charakter. Kein Vergleich zu diesem gschaftlhuberischen Kleinbürger, der jetzt das Sagen im Haus hatte. Am meisten störte es sie, dass man in diesem Haus nie mehr ungestört sein konnte. Alma hätte sich jetzt gerne gleich wieder ans Klavier gesetzt. Sie hatte eine Melodie im Kopf, die sie spielen und niederschreiben wollte, aber das konnte sie nur, wenn sie allein war. Sie brauchte absolute Ruhe dafür, aber die Besucher ihres Vaters lärmten und lachten. Außerdem konnte man im Arbeitszimmer alles hören. Alma seufzte noch einmal. Sie legte ihre Noten neben der Garderobe ab und betrachtete ihre leuchtend blauen Augen und die dunkle Haarmähne im Spiegel. Sie hatte ihr Haar am Morgen locker am Hinterkopf zusammengenommen, so dass es in einer weichen Welle ihr Gesicht umspielte. Den Rest hatte sie zu Schnecken gedreht, die sie am Hinterkopf zu einem Knoten legte, eine der Sängerinnen in der Oper hatte diese neue Frisur getragen. Sie drehte sich vor dem Spiegel hin und her und dachte, dass sie für offen getragenes Haar mit ihren neunzehn Jahren inzwischen zu alt war.
»Alma, du bist schon zurück? Setz dich zu uns.« Ihre Mutter kam mit einem Tablett voller Erfrischungen aus der Küche. »Klimt ist auch da. Es geht um die nächste Ausstellung der Secession.«
Alma zuckte zusammen. Klimt war hier! Seit sie vor zwei Wochen derart kindisch – sie war in der Zwischenzeit zu dem Schluss gekommen, dass ihr Verhalten wenig erwachsen gewesen war – aus seinem Atelier geflüchtet war, hatte sie ihn nicht mehr gesehen, aber umso mehr an ihn gedacht. Sie musste sich erst sammeln, bevor sie ihn begrüßte. »Ich komme gleich«, sagte sie hastig. »Ich mach mich nur schnell frisch.«
Mit raschen Schritten ging sie den Flur entlang in das Zimmer, das sie mit ihrer Schwester teilte. Zum Glück war Gretl nicht da. Alma musste nachdenken. Wie sollte sie Klimt gegenübertreten? Sie ließ sich auf ihr Bett fallen, ihre Gedanken flogen zu ihrem ersten Treffen. Es war auf der Eröffnungsausstellung der Secession vor einem Jahr gewesen. Alma war mit Gretl und ihrer Mutter hingegangen, Carl wartete dort bereits auf sie, und neben ihm hatte Klimt gestanden. Alma hatte ihn sofort an seiner ungewöhnlichen Kleidung erkannt. Er hatte so männlic