Kapitel 1
Der Duft von Vergissmeinnicht wehte mir in die Nase, als ein Windstoß durch meine Zeitung fuhr und die Seiten umknickte, so dass ich die Schlagzeile, die mir eben aufgefallen war, nicht weiterlesen konnte. Vom Balkon über mir rieselten ein paar himmelblaue Blüten aus den Blumenkästen. Ungeduldig schlug ich die Seiten aus, um das Papier wieder zu straffen, und hoffte, ich hätte mich verlesen, denn sonst wären es überaus schlechte Nachrichten.
»Was ist denn?«, fragte Madame Dupont, während sie eine Mokkatasse mit schwarzem Kaffee an ihre scharlachrot geschminkten Lippen hob. »Wenn Sie nicht aufpassen, färbt die Druckerschwärze ab, und dann laufen Sie den ganzen Tag mit einem spiegelverkehrten Artikel desFrench Enquirer im Gesicht herum.«
Amüsiert schüttelte ich den Kopf. So etwas konnte nur Madame Dupont einfallen. Sie war eine lebenslustige Mittsiebzigerin, die sich immer noch ausgiebig schminkte und so viel Rouge auftrug, dass ihre Wangen fast lila glänzten. Ihre dunkelbraunen Augen waren dick mit Kajal umrandet und von falschen Wimpern gesäumt, die wie schwarze Fächer auf und zu klappten. Dem Strahlen in ihren Augen nach wirkte sie jedoch nur halb so alt, und mit ihrer Energie und Dynamik war nur schwer mitzuhalten. Feine Rauchschwaden wirbelten um ihr sorgsam frisiertes graues Haar, das sie absichtlich nicht färbte, weil sie der Meinung war, die silberfarbenen Strähnen schmeichelten ihrem Teint. Man sah sie nie ohne eine Zigarette, die sie stets in einer Spitze aus Elfenbein hielt, dem Relikt aus einer anderen Ära. Ich hatte das gute Stück auf einem der Flohmärkte am Seineufer gefunden, und Madame hielt es in Ehren.
Wenn ich sie wegen ihrer Zigarettensucht tadelte, lachte sie nur und erklärte, ihre Laster hielten sie jung. Madame Dupont genoss das Leben in vollen Zügen, sprühte nur so vor Charme und Esprit. Sie war früher eine berühmte Chansonnette gewesen, hatte mit Künstlern aus der ganzen Welt verkehrt, und dieser Glanz haftete ihr noch immer an. Männer wie Frauen suchten ihre Gesellschaft und brannten darauf, ihre Geheimnisse zu ergründen. Ich fand es immer höchst amüsant, wie die Leute um ihre Aufmerksamkeit buhlten. Unsere morgendlichen Treffen hingegen fanden in einer ruhigen Pariser Seitenstraße statt, so dass wir uns ungestört austauschen konnten.
Die schwarz-weißen Zeitungsseiten raschelten im Wind, als wollten sie mich an den Artikel mit seiner beunruhigenden Überschrift erinnern. »Es hat eine Einbruchserie in Sorrent gegeben, in Italien«, sagte ich und reichte Madame Dupont die Zeitung. »Die AuktionshäuserDolce undRocher sind betroffen.«
»Was? Aber wir sind doch gerade erst dort gewesen!« Madame Dupont schob sich die diamantbesetzte Lesebrille auf die Nase und überflog den Artikel.
»Oui«, sagte ich. »Können Sie sich das vorstellen?« Über unsere italienischen Kollegen mit ihrem Angebot an Antiquitäten waren wir gut informiert. Ich begleitete Madame Dupont häufig auf Geschäftsreisen, denn dem Erlebnis, fremden Boden zu betreten, andere Luft zu atmen und den Sternenhimmel aus neuer Perspektive zu sehen, konnte ich einfach nicht widerstehen. Als Inhaberin desTime Emporium handelte Madame Dupont mit Uhren und suchte an allen Enden der Welt nach einzigartigen Exemplaren. Ich war auf französische Antiquitäten spezialisiert un