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Roanoke, Virginia
Frühling 1890
Zum Zischen von Bügeleisen und umgeben von Seifengeruch trug Ella einen Stapel Betttücher die Treppe hinauf. Verschneites Abendlicht sickerte kühl und grau durch das Treppenhausfenster des Stadthauses, das nun als Krankenhaus diente. Nachdem Ella den Nachmittag im Keller verbracht hatte, vermochte sogar der Anblick von Nebel und sanft fallenden Flocken ihre Stimmung zu heben. Eigentlich unspektakulär, aber in diesen Tagen – vielmehr: Jahren – war sie dankbar fürüberhaupt etwas. Während der Wind den Schnee in Böen durch die Straße wirbelte, blieb ihr Blick an einem Farbtupfer hängen, der mit den Flocken dahintrieb. Ein Stück Schnur mit bunten Wimpeln. Nass vom Winterwetter trudelte das Band mit den fröhlichen Fähnchen über den Schnee. Rasch trat Ella näher ans Fenster, aber da war der Farbklecks schon aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Trotzdem lächelte sie.
„Entschuldigung,Fräulein Spülmagd.“
Beim Klang von Claras Stimme machte sich Ella im engen Treppenhaus so dünn wie möglich. „Kommen Sie vorbei?“
Clara fixierte sie mit ihren Augen, während sie sich vorbeizwängte. „Kaum. Und auf diese Betttücher warte ich schon den ganzen Tag.“ Mit einem missbilligenden Zungenschnalzen rückte die Krankenschwester ihre Haube auf dem Haar zurecht, das etwas dunkler war als Ellas blasses Hellblond, und stieß ihr dabei beinahe den schweren Wäschestapel aus der Hand. Ella hob den Blick, bemüht, weder die Geduld noch das Gleichgewicht zu verlieren. Noch ein Stockwerk. Und sie war kein Küchenmädchen. Sie war auch Krankenschwester.
Na ja … so gut wie.
Als sie sich in der Privatklinik von Dr. Penske vorgestellt hatte, hatte der Arzt nicht lange gebraucht, um aus ihr herauszubekommen, dass sie keine abgeschlossene Ausbildung hatte. Zwar hatte sie zu Hause ein paar Jahre die Schule besucht, sie aber vor dem Abschluss wieder verlassen. Stattdessen hatte sie sich selbst, so gut es ging, weiter in der Kunst der Krankenpflege unterrichtet – und das nicht nur aus den Standardlehrbüchern, sondern mithilfe der Lektüre medizinischer Fachzeitschriften.
Doch das hatte den Doktor keineswegs beeindruckt.
Trotzdem hatte er sie eingestellt, mit der strikten Anweisung, dass sie in der Spülküche blieb: Geschirr und Wäsche wusch, heißes Wasser bereitete, Besorgungen erledigte. Auf jeden Fall nicht mit den Patienten in Kontakt kam. Aber hin und wieder ergab sich eine Situation, in der sie einspringen und helfen konnte, wo Not am Mann war. Fertige Schulausbildung hin oder her.
Schule. Wie sie das Wort verabscheute. Noch ein Scheitern, das sie verfolgte.
Aber es war keine Zeit gewesen, die Ausbildung abzuschließen. Nicht, als sie mit knapp fünfzehn in ihrem Bett gekniet und das Kind eines Fremden zur Welt gebracht hatte. Hinter sich acht Monate voller Angst und Sorgen und dann Stunden voller Schmerz