1Nymphaea pygmaea rubra
Rote Zwergseerose
Es war einer dieser absoluten Tonnentage.
Tage, die man in die Tonne kloppen kann.
John-Marlon merkte es gleich beim Aufstehen. Er stieg aus dem Bett und ging zum Fenster, einem kleinen Schrägfenster, denn das Zimmer befand sich unter dem Dach. Vierter Stock Altbau, ohne Fahrstuhl. Das Zimmer war winzig und im Sommer ein Backofen, aber er mochte es trotzdem: Es war ein guter Ort, um sich zu verkriechen, wenn alles schieflief.
»Deine Höhle«, sagte seine Mutter immer und lächelte.
An dem Tag also, an dem diese Geschichte beginnt, stand John-Marlon am Fenster und sah, dass die Sonne schien, mitten in einem saftig blauen Himmel. Das perfekte Wetter für die Sommerwettkämpfe der Schule. Laufen, Springen, Werfen, Kugelstoßen – und am Ende das sehnsüchtig erwartete Fußballturnier.
John-Marlon erwartete nur eines am Fußballturnier sehnsüchtig: sein Ende. Er hasste Fußball genauso wie Laufen, Springen, Werfen und Kugelstoßen, und er hoffte seit fünf Jahren vergeblich, es würde am Tag der Sommerwettkämpfe regnen und sie müssten ausfallen.
»Du könntest dich doch anstrengen«, sagte sein Vater. »Ich meine: Streng dich doch einfach mal an! Das ist keine Frage der Kraft, das ist eine Frage des Selbstvertrauens.« Er beugte sich über den Tisch, einen kleinen, wackelnden Eiscafétisch, und sah John-Marlon in die Augen.
Es war inzwischen zwei Uhr durch und die Sportwettkämpfe vorbei. Zum Glück. John-Marlons Vater hatte ihn gleich danach von der Schule abgeholt. Dies war ein Dienstag, und Dienstag war Vater-Tag. John-Marlons Vater wohnte seit Längerem nicht mehr mit John-Marlon und seiner Mutter zusammen, aber dienstags hatte er Zeit.
Er war groß, sportlich und blond. John-Marlon war mittelklein, braunhaarig und pummelig. Überflüssig zu sagen, dass er eine Brille hatte. Mittelkleine pummelige Jungen haben oft Brillen, so wie ein Unglück meistens das nächste nach sich zieht. Sonnenschein zum Beispiel Sportwettkämpfe und Sportwettkämpfe Fragen nach Ergebnissen von Sportwettkämpfen.
»Du kannst das alles«, sagte John-Marlons Vater. »Es ist in dir. Verstehst du? In dir steckt ein Tiger.« Dabei machte er ein Gesicht mit einemGrrrr zwischen den Zähnen, was ziemlich lächerlich aussah.
»Papa«, sagte John-Marlon gequält. »Ich bin in der fünften. Nicht im Kindergarten.«
Er rührte in seinem Eisbecher, der sich langsam von zwei Kugeln unterschiedlicher Farbe in einen Matsch gar keiner spezifischen Farbe verwandelte.
»Ich wollte sagen: Man muss nur wollen!«, erklärte sein Vater. »Nächstes Jahr kriegst du eine Siegerurkunde. Ach was, eine Ehrenurkunde.« Er trank seinen Kaffee in einem Zug aus, als wäre auch das ein Wettbewerb. »Hat eben dieses Jahr nicht geklappt. Mach dir nichts draus.«
Das Schlimme war, dass John-Marlon sich gar nichts draus machte. Es war ihm völlig egal, wie weit er warf oder wie schnell er lief. Er versuchte es tr