Die Erdberger Spedition
Ferdinand Krutzler war damals der wichtigste Notwehrspezialist Wiens. Elfmal wurde er wegen tödlicher Notwehr freigesprochen. Nur am Schluss hatte er es übertrieben. Da saß er inmitten des gefürchteten Bregovic-Clans. Bloß waren die sonst so lauten Jugoslawen ganz still. Das Einzige, was man hörte, war ihr Blut, das auf den Boden tropfte.Es war Notwehr, hatte der Krutzler geflüstert. Dann hatte er die Pistole vor sich auf den Tisch gelegt und seelenruhig auf seine Verhaftung gewartet.
Wobei es viele gab, die ihm gar keine Seele attestierten. Aber eine Persönlichkeit sei er gewesen. Und eine solche erkannte man aus der Ferne. Mit seinen zwei Metern, seinem steifen Oberkörper, seinem riesigen Kopf und seiner schwarzen Hornbrille sah er aus wie ein zu groß geratenes Insekt. Schönheit war er keine. Sogar seine Mutter, die vermutlich nur deshalb so alt wurde, weil sie sich nie bei jemandem entschuldigt hatte, sagte über ihren Sohn, dass er schon bei der Geburt wie ein Hirschkäfer ausgesehen habe. Richtig erschreckt habe sie sich, als sie den unfreiwilligen Nachzügler in Händen gehalten habe. Ein sechs Kilo schweres Ungetüm habe sie mit dem Hintern voran in die Welt pressen müssen. Und das im Alter von vierundvierzig Jahren. Wer rechne da noch mit einer Schwangerschaft. Da müsse eine Seele schon richtig desperat auf die Welt kommen wollen. Und das könne selten etwas Gutes bedeuten. Denn desperat war nur der Teufel. Gott hielt sich höflich fern von der Welt.
Auf jeden Fall sei ihr dieses Ungetüm von Anfang an fremd gewesen. Keinen einzigen Moment seien sie sich nahe gekommen. Selbst bei der Geburt sei er nichts als Lärm und Schmerz gewesen. Wenn sie geahnt hätte, dass ihr Sohn einmal der gefährlichste Mann Wiens werden würde, hätte sie ihn vielleicht doch weggemacht. Wobei vermutlich nicht einmal die Hitlermutter ihren Welpen abgetrieben hätte, wenn sie gewusst hätte, was für ein Monster sie auf die Welt setzen würde.
Damals ahnte man ja noch nichts von den späteren Qualitäten des Ferdinand Krutzler. Erst vierzig Jahre später flüsterte man sich hinter vorgehaltener Hand die rankenden Legenden zu. Zum Beispiel, dass keiner seinen beigen Kamelhaarmantel berühren durfte. Dass er in seinem ganzen Leben keine Frau geküsst hatte. Dass er angeblich bei Nacht genauso gut sehen konnte wie bei Tag. Und dass er jeder Lüge auf die Spur kam.
Vieles war übertrieben. Genauso wie der Respekt, den man ihm entgegenbrachte. Man bewunderte seinen Geschmack. Seinen Stil. Und seine Großzügigkeit. Besonders den Frauen gegenüber. Manche sagten, die Geschenke ersetzten ihm den nicht vorhandenen Charme. Der Krutzler war kein Mann der großen Worte. Eher der Taten. Wenn der Krutzler einen aufforderte, als Erster zuzuschlagen, dann wusste derjenige, was zu tun war: die Stadt verlassen und sein Gesicht nie wieder zeigen.
Wobei der Krutzler kein Feigling war. Er hatte seine Prinzipien. Und seine Methode. Der Krutzler’sche Halsstich hatte damals nicht nur in Wien Furore gemacht. Sein Ruf reichte bis nach Hamburg. Und viele sagten, dass es mit dem Krutzler zu Ende ging, als er vom Messer auf die Maschinenpistole umgestiegen war. Da sei eine richtige Ära zu Ende gegangen. Eine Ära mit Persönlichkeiten, für die es später keine Ersatzteile mehr gegeben habe.
Natürlich kam so einer wie der Krutzler nicht als Persönlichkeit auf die Welt. Ein