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An dem alten Steg hinter der Kirche anzulegen war gar nicht so einfach, wie es sich anhört.
Unter anderem deshalb, weil Daffy über der Bootswand hing und sich übergab. Sie spuckte alles aus, was sie seit dem vorletzten Donnerstag zu sich genommen hatte. Wenn du schon mal in der Kinowochenschau gesehen hast, wie ein Fischkutter seine Netze ausleert, weißt du, wovon ich spreche. Daffy war nicht einfach nur schlecht, sie reiherte sich buchstäblich die Seele aus dem Leib. Offen gestanden war es ziemlich beeindruckend.
Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, wäre es sogar ziemlich lustig gewesen.
Man muss Dogger lassen, dass er kein überflüssiges Wort verlor. Er drehte sich nur kurz nach mir um und reagierte sofort. Mit gleichmäßigen Ruderschlägen lenkte er das Boot zum Ufer hinüber. Das einzige störende Geräusch waren Daffys Würgelaute.
Die Leute in den anderen Booten, von denen mehrere unterwegs waren, dachten bestimmt, dass die junge Dame etwas Falsches gegessen hatte. Ein angeschimmeltes Sandwich mit Fischpaste oder eine verdorbene Scheibe Zunge vielleicht. Da gehörte es sich nicht zu glotzen, und das tat dann auch niemand. Und was ich da am offenen Kiefer durchs Wasser zog, sah erst recht niemand.
Als die Bootswand gegen den Steg stieß, hielt Dogger mir wortlos die karierte Decke hin, auf der wir unser Picknick hatten verzehren wollen. Ich wusste sofort, was er von mir wollte.
Ohne unnötiges Aufsehen zu erregen, nahm ich die gefaltete Decke in die linke Hand, schüttelte sie auf und ließ sie auf die schwimmende Leiche gleiten. Dogger hatte inzwischen das Boot festgemacht. Er stieg ins flache Wasser, packte die verhüllte Gestalt, nahm sie behutsam auf die Arme und watete mit ihr ans grasbewachsene Ufer.
Kurz darauf lag der Tote auch schon auf der Wiese am Rand des Kirchhofs.
Mir fiel sofort der Bluterguss an seinem Hinterkopf auf. Es sah aus, als wäre der Mann gestolpert, hätte sich den Kopf angeschlagen und sei dann ins Wasser gestürzt. Tote bekamen, wie mir einfiel, keine Blutergüsse.
Ich rief mich zur Ordnung. »Wiederbelebung?«, fragte ich sachlich.
Dogger hatte Jiu-Jitsu nach der Methode von Professor Kano gelernt und wusste, dass man Ertrunkene wieder zum Leben erweckte, indem man ihnen kräftig auf die Fußsohlen schlug.
Doch nachdem er die Decke kurz gelüftet hatte, erwiderte er: »Das bringt wohl nichts mehr, Miss. Die Fische haben den armen Kerl schon angefressen.«
Tatsächlich waren Nase und Ohrläppchen ein bisschen angeknabbert.
Davon abgesehen musste der Tote recht gut aussehend gewesen sein. Bestimmt hatten sich die langen roten Locken, die ihm jetzt feucht und schlaff am Kopf klebten, verführerisch über dem Kragen seines gerüschten Seidenhemdes gekringelt.
Nein, das ist jetzt nicht erfunden. Das Hemd des Toten war tatsächlich aus Seide, ebenso die blaue Kniebundhose, die oben mit Knöpfen geschlossen und unten mit Seidenbändern zugebunden war.
Ich hatte das eigenartige Gefühl, dass ein Zeitreisender aus dem achtzehnten Jahrhundert vor mir lag, jemand, der in den Tagen von George III. ins Wasser gehüpft war und auf einmal beschlossen hatte, wieder aufzutauchen.
Mein nächster Gedanke lautete: War jemand nach einem Kostümball vermisst worden? Oder war ein Schauspieler aus einem Historienfilm verschollen?
So etwas wäre bestimmt durch alle Zeitungen gegangen. Trotzdem lag hier dieser attraktive Jüngling (nur dass er leider tot war) ganz selbstverständlich vor mir im Gras, als wäre er nur eine geangelte Forelle.
Er war fastzu attraktiv. Ich fand, er ähnelte dem berühmten GemäldeKnabe in Blau von Gainsborough, nur dass er deutlich blasser war.
Moment mal! Ja, er erinnerte mich tatsächlich an ein Gemälde, aber nicht an einen Gainsborough, sondern an das Werk eines weit weniger bek